Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
nicht wahr, meine Antiviren-Software ist immer up to date und Mailanhänge unbekannter Absender öffne ich natürlich niemals!
Ein bisschen schade ist es trotzdem, dass sich das Hörspiel nur auf die titelgebende Schadsoftware konzentriert. Wer die Idee eines solchen Implantats ganz charmant findet, sollte in Gedanken auch ein wenig bei den ersten Minuten des Hörspiels verweilen, wenn fredstar noch nichtsahnend sein perfekt funktionierendes Nia genießt. Ohne »webster«, die Onlinewährung, geht gar nichts, gesundheitsschädigendes Verhalten wie der Kauf eines Bierkastens wird sofort auf der Sollseite der Medicard vermerkt und wehe, der tägliche Bericht über den aktuellen Stand der beruflichen Tätigkeit wird zu oft ignoriert. Wie es Arbeitslose oder chronisch Kranke wohl mit ihrem Nia aushalten können? Der Feind lauert nicht nur auf den obskuren Seiten einer Hass-Community. Aber das, wie erwähnt, kann ich auch schon bei Orwell nachlesen. Geholfen hat’s nicht.
Ute Perchtold
JENS RACHUT
SCHWESTERNMILCH
Realisation: Jens Rachut · Komposition: Jonas Landerschier · Westdeutscher Rundfunk 2012
»Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr.« Albert Einstein soll dies einmal gesagt haben, doch das Einstein-Institut in Israel hat auf Nachfrage schon vor einigen Jahren dementiert. Nichtsdestotrotz geistert es als Einstein-Zitat weiter durch die Medienlandschaft. Und im Hörspiel Schwesternmilch entwirft Jens Rachut mit dieser These seine apokalyptische Zukunftsvision.
Seit zehn Jahren schon gibt es auf der Erde keinen Honig mehr. Seit zwei Jahren liegt ein »unbekannter Schatten« über der Erde, der nur punktuell Sonnenstrahlen durchlässt, sie »scheinen nur auf bedeutungslose Stellen!«, so weiß es einer der letzten Imker und autodidaktischen Insektenverhaltensforscher, Dr. Blonka. Denn »jemand ist duldsam und weist darauf hin, dass er der Bestimmer ist und nicht wir, die Versager, die mal kurz einen Planeten ausrotten!« Ohne Bienen keine Bestäubung, ohne Bestäubung keine Nahrungsmittel. Zunehmend schrumpft die Bevölkerung. »Der Dunkelheitsgrad entspricht einer mittleren Sonnenfinsternis«, erklärt eine Frau über Megafon. »Dämmerung im Leerlauf … Welt fast ungezieferfrei … Liebe Restbürger und Restbürgerinnen … sparen, bis die Blase platzt … teilen mit den Nachbarn … In der Not fresst Hundekot …«
Thematisch bezieht sich das Science-Fiction-Hörspiel Schwesternmilch auf ein Phänomen, das seit Anfang dieses Jahrhunderts weltweit die Aufmerksamkeit erregt: das massenhafte Sterben ganzer Bienenvölker, insbesondere in den USA. »Schwesternmilch« ist kein erfundenes Wort, wie man zuerst denken könnte. Jürgen Tautz, der Würzburger Professor für Biologie, hat diesen Begriff eingeführt in seinem 2007 erschienenen Buch »Phänomen Honigbiene«. Darin ernennt er ein Volk von Honigbienen zum »Säugetier ehrenhalber«, da sie viele Parallelen zu Säugetieren aufweisen. Sie versorgen ihren Nachwuchs mit »Schwesternmilch«, aus speziellen Drüsen wie bei Säugetieren, sie bauen einen sozialen Uterus durch optimale Aufzuchtbedingungen, sie halten die Puppen bei einer Körpertemperatur von 35 Grad. Honigbienen haben eine hochentwickelte Veranlagung zum Lernen und kognitive Eigenschaften, »mit denen sie sogar manches Wirbeltier in den Schatten stellen«, so Tautz.
Drei Jahre später setzte sich Mark Daniels in seinem Dokumentarfilm Das Geheimnis des Bienensterbens , eine arte-Produktion, umfangreich mit den möglichen Ursachen des rätselhaften Bienensterbens auseinander. Seine These: »Letztendlich bedeutet der Verlust der Bienen die Frage unseres Überlebens.« Im November 2012 kam dann der Dokumentarfilm More than Honey (Abschlussfilm des Internationalen Filmfestivals in Locarno) des Schweizer Filmemachers Markus Imhoof in die deutschen Kinos, der ebenfalls den Ursachen des Bienensterbens auf den Grund zu gehen versucht. Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erschien im Oktober 2012 schon das Buch zum Film, ergänzt um Hintergrundmaterial von Claus-Peter Lieckfeld.
Vermutlich kannte Jens Rachut das Buch von Jürgen Tautz ebenso wie den Film von Mark Daniels. Ob die Bienen durch den übermäßigen Gebrauch von Pestiziden vergiftet werden, die Varroa-Milbe sie vernichtet, durch Züchtung und Massenbienenhaltung anfällige
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