Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
ließe sich ewig fortsetzen. Verständlicherweise: Wenn jemand, der von sich behauptet, die Zukunft vorhersehen zu können, erklären würde: »Soweit ich es erkennen kann, wird das Leben im Großen und Ganzen so weitergehen«, dürfte er damit nicht besonders viel Aufmerksamkeit erregen.
Weniger katastrophale Umwälzungen in Zukunftsgesellschaften werden in der Science Fiction typischerweise den Handlungen einer einzigen Person zugeschrieben. In der Zukunftswelt von John Taines »The Time Stream« (1930) beispielsweise werden Ehepartner einander anhand der logischen Analyse ihrer Gencodes zugewiesen. Doch dann verkündet eine kühne Frau plötzlich, dass sie aus Liebe heiraten will, und ruft eine gesellschaftliche Bewegung ins Leben, die sich dafür einsetzt, eben das zu erlauben – mit Erfolg, auch wenn die Folgen für ihre Gesellschaft letztlich katastrophal sind.
Katastrophen und die Handlungen einiger weniger guter Männer oder Frauen sind allerdings kaum jemals ausschlaggebend für Veränderungen der gesamten menschlichen Zivilisation. Größere Katastrophen, die weite Landstriche betreffen und Millionen von Todesopfern fordern, sind in der menschlichen Geschichte außerordentlich selten; und was die Handlungen eines einzelnen Individuums betrifft, so kann man vielleicht einige wenige Menschen benennen, die tatsächlich den Lauf der Geschichte beeinflusst haben, doch viele gesellschaftliche Veränderungen ereignen sich praktisch unmerklich und ohne identifizierbare Handlungsträger. In den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts war es in den USA ganz und gar nicht gerne gesehen, wenn man zusammenlebte, ohne verheiratet zu sein; in den Siebzigern hatte damit kaum noch jemand Probleme. Zu diesem Meinungsumschwung kam es nicht aufgrund einer einzigen mutigen Frau, die, wie in Taines Roman, vor einer großen Menge lautstark ihr Recht, unverheiratet mit einem Mann zusammenzuleben, eingefordert und dadurch eine Massenbewegung ins Leben gerufen hätte. Vielmehr ist die amerikanische Öffentlichkeit im Zuge zahlreicher gesellschaftlicher Umwälzungen und neuer Verhaltensanforderungen unter Rückgriff auf das ihr eigene kollektive Wissen nach und nach zu der Übereinkunft gelangt, dass es keine große Sache mehr ist, ohne Trauschein zusammenzuwohnen.
Nachdem wir nun diese weitverbreiteten Trugschlüsse benannt haben, können wir uns dem nächsten Schritt zuwenden. Wir nehmen einige zeitgenössische Vorhersagen, die die Science Fiction über die Zukunft trifft, unter die Lupe und erklären sie auf Grundlage der erkennbaren Trugschlüsse, aus denen sie hervorgegangen sind, für nichtig:
1.Die Eroberung des Weltalls. Es gibt vermutlich keinen anderen Bereich, in dem die Prognostiker so sehr enttäuscht worden sind und dennoch so hartnäckig an ihren Vorhersagen festhalten. Laut der Zukunftsdarstellungen, die uns die Science Fiction vergangener Zeiten geschlossen präsentiert, müssten wir inzwischen mehrere Raumstationen sowie Basen auf Mond und Mars und Forscher auf fremden Planeten haben; des Weiteren müssten Arbeitssuchende, Abenteurer und Urlauber auf die Möglichkeiten der Raumfahrt zurückgreifen können. Selbst in der heutigen Zeit, in der sich der menschliche Vormarsch ins All im Schneckentempo vollzieht, warten Raumfahrtbegeisterte immer wieder mit Plänen für neue, billige und effiziente Raumschiffe auf, mit denen sich die Träume von der Eroberung des Alls ihren Aussagen zufolge endlich in die Praxis umsetzen ließen und eine neue Ära der Raumfahrt und der Besiedlung fremder Planeten eingeläutet würde.
Wo liegen die Probleme? Zunächst einmal ist, wie bereits angedeutet, jener nahe Verwandte des Trugschlusses des allgemeinen Wohlstands im Spiel: der Trugschluss der unbegrenzten Preissenkung. Die Raumfahrt ist nach wie vor kein besonders billiges Unterfangen, und die Ideen für neue Vorstöße scheinen daran nichts zu ändern. Außerdem liegt ein umfassenderes Problem vor, das auf den Trugschluss der Analogie zurückzuführen ist. Man dachte, dass die Raumfahrt genauso wie die Luftfahrt funktionieren würde; und da die Luftfahrt innerhalb von vierzig Jahren von den Brüdern Wright zu regelmäßigen kommerziellen Flügen gelangt ist, haben die Autoren ähnliche Fortschritte von Juri Gagarin im Jahre 1961 bis zu Arthur C. Clarkes »2001: Odyssee im Weltraum« (1968) erwartet. Nur ist ein Raumflug eben sehr viel schwieriger zu bewerkstelligen und sehr viel gefährlicher als ein Flug innerhalb der
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