Das sechste Opfer (German Edition)
keinen Internetzugang gehabt hätte. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie andere vor mir ohne das Netz leben und arbeiten konnten. Sherlock Holmes zum Beispiel, oder Philipp Marlowe. Wie haben die ihre Fälle gelöst, ohne im Internet nach bestimmten Personen oder Vorfällen suchen zu können? Sind die von Pontius zu Pilatus gelaufen, haben in Archiven gewühlt, bis sie am Staub der Aktenberge fast erstickt sind?
Nicht, dass ich mich mit diesen großen Detektiven der Weltliteratur vergleichen wollte, aber im Moment kam ich mir jedenfalls wie ein Ermittler vor, kurz davor, eine Verschwörung ans Tageslicht zu bringen. Und ich musste nicht in Archiven wühlen oder von Tür zu Tür laufen. Das hätte ich auch gar nicht gekonnt, denn dann hätten mich die einen verhaftet, die anderen getötet.
Glücklicherweise lebte ich im Jahre 2012 und war nur ein paar Mausklicks von meinen Recherche-Ergebnissen entfernt.
Das klingt jetzt einfacher als es war, denn ich brauchte ein paar Stunden, bis ich den ersten der Sieben Zwerge, den Glatzkopf in der Runde, identifizieren konnte. Es handelte sich um Walter Stahlschriber, dem Konzernchef von ABBELBA, einem belgischen Bauunternehmen. Ein französischer Chatroom für Eigenheimbauer hatte einen Artikel mit Foto von ihm ins Netz gestellt. Etwas später fand ich auf ähnliche Weise Philipp Vogts, den ewig lächelnden Kopf der Kurmann-Gruppe, die von der Schweiz aus halb Europa mit ihren Fernsehsendungen und Zeitschriften versorgte. Des Weiteren gab es Peter Strobl, meinen dicklichen Namensvetter aus Bayern, der im obersten Management eines deutschen Autoherstellers arbeitete. Etwas schwieriger gestaltete sich die Suche nach dem ewig skeptischen Banker, der sich schließlich als Ron Lippman herausstellte, ein Vorstandsvorsitzender der finanzkräftigen Capricorn-Bank vom britischen Eiland.
Die übrigen drei aufzuspüren war noch wesentlich komplizierter, da ich keinerlei Anhaltspunkte hatte, in welchem Bereich sie tätig waren. Mehr durch Zufall stolperte ich schließlich über Carsten Haegedorn, einen skandinavischen Multimillionär, der durch Herstellung und Vertrieb eines dänischen Bieres sein Vermögen gemacht hatte. und Er entpuppte sich als der Kerl mit Bart und den erschreckend ruhigen Händen.
Inzwischen hatte es in meinem Kopf leise geklingelt, denn irgendwie passten die Industriezweige, aus denen die sieben Zwerge stammten, erschreckend genau zu den Tätigkeiten, die die angeblichen Unfallopfer der letzten Jahre ausgeübt hatten. Auch unter ihnen waren ein Banker, einer vom Fernsehen, ein Bauunternehmer und ein Autohändler. Wenn ich eins und eins richtig zusammenzählte, musste ich noch einen Apotheker finden und einen Anwalt. Also suchte ich ein bisschen in den Reihen der Pharmaindustrie und wurde tatsächlich fündig. Der alte, dünne Mann, den ich mir gut mit Joggingschuhen an den Füßen vorstellen konnte, erwies sich als Ben Friedrichs, der Stellvertretende Vorsitzende von RYBA, einem französischen Pharmakonzern.
Nur den siebten, den intelligenten Mann mit den wachen Augen, konnte ich nicht finden. Seine Identität blieb in den Tiefen des Netzes verschollen, da ich nicht wusste, wo ich ansetzen sollte.
Stattdessen beschäftigte ich mich jetzt erst einmal mit den Zusammenhängen, die es zwischen den Toten und den Sieben Zwergen gab. Ich versuchte, mich an deren Geschichte zu erinnern und Verbindungen herzustellen. Ich begann mit dem Apotheker, von dem ich wusste, dass er versucht hatte, eine Pharmafirma wegen unlauteren Wettbewerbs zu verklagen. Er hatte PIAPHE, dem Pharmakonzern, vorgeworfen, Forscher abzuwerben, einzukaufen und sich mit anderen Firmen abzusprechen, die Forschung an bestimmten Produkten einzustellen.
Das passte.
Fabian Wendel, der mutige Apotheker, war offensichtlich hinter die Absprache mit den angeblichen Konkurrenten gekommen. Und mit ihm sein Anwalt Noah Degenhardt, der in Wendels Namen Untersuchungen angestellt hatte, die ihn das Leben kosteten.
Als nächstes fand ich eine kurze Notiz über das Autohaus Adhab, dessen Chef behauptet hatte, dass es völlig unnötig sei, Panik wegen des Feinstaubs zu machen, da es absolut einfach wäre, Autos kostengünstig mit einem Dieselfilter zu versehen. Die Frau des Eigentümers berichtete in dieser Notiz einer winzigen Onlinezeitung, dass ihr Mann damit an die Presse gehen und mit dem Einbau das große Geld machen wollte. Er hatte angeblich sogar schon mit einem Investor gesprochen, um den großen Firmen zu
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