Das sechste Opfer (German Edition)
hängen, oder ob sie die Weitsicht und den Mut besitzen, neue Wege einzuschlagen und damit vielen Firmen, deren Existenz nur noch am seidenen Faden hängt, eine Perspektive geben.
Entsetzt ließ ich die Zeitung sinken. Sie hatten es also geschafft. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie einen Betrieb gefunden, ihm einen Auftrag verschafft und die Presse informiert, die sofort mit positiver Berichterstattung aufwartete. Ihr Plan klappte reibungslos, wie ich sehen konnte. Dass ich sie ausspioniert hatte und um ihr Geheimnis wusste, schien sie nicht im Geringsten zu interessieren. Offenbar war ich ein so kleines, unwichtiges Licht, das es lediglich verdiente, für fünftausend Euro ausgeknipst zu werden. Und sie hatten Mathias, den Redaktionsleiter, eingeschüchtert oder bestochen, damit er den Artikel nicht drucken ließ.
In meinem Kopf brauste es. Es fühlte sich an, als würde ich gegen Mauern rennen. Noch immer war ich in meinem Albtraum gefangen und kam nicht heraus. Keiner konnte oder wollte mir zuhören. Ich kam mir vor wie in den endlosen Weiten des Universums, wo ich allein durch Zeit und Raum der tödlichen Sonne entgegen driftete, nach Hilfe schrie, aber meine Rufe ungehört in der Endlosigkeit verhallten. Wieso begriffen die Menschen nicht, dass alles eine Lüge war? Wieso waren sie so blind?
Hätte ich auch alles geglaubt, bevor ich in diese Situation geriet? Wahrscheinlich. Ich hatte mich immer für einen intelligenten Menschen gehalten, der seine Umwelt hinterfragt und seinen eigenen Weg sucht, wie wahrscheinlich viele andere auch. Aber ich war bisher genauso eine kleine Ratte gewesen, die ihrem Rattenfänger folgt, bloß weil er die richtigen Töne auf seiner Flöte spielt. Ich stand auf der Straße vor dem Kiosk unter der Straßenlaterne und starrte auf die Zeitung in meiner Hand, deren Buchstaben und Worte vor meinen Augen zu einem wirren Brei verschwammen. Ich fühlte mich plötzlich einsam und allein, müde und erschöpft. Die Ratte, die gegen den Strom schwimmt und dabei untergeht. Ich war allein mit meinem Wissen, ich war der Einzige, der die Wahrheit kannte, und ich konnte es niemandem mitteilen. Mir waren die Hände gebunden. Sie hatten die Polizei korrumpiert und die Presse, sie bestimmten über Recht und Ordnung und darüber, was gesagt und gedruckt werden durfte. Sie lenkten die Zukunft der Menschen und manipulierten sie nach ihrem Gutdünken. Sie hatten alles in der Hand – und ich kam nicht gegen sie an.
Diese Erkenntnis legte sich wie ein Zentnerblock auf meine Schultern. Ich würde nie wieder frei sein, das würden sie nicht zulassen. Nie wieder konnte ich mit Nicole am Strand liegen und den Kreischen der Möwen lauschen. Nie wieder in Ruhe ein Eis essen oder in den Urlaub fliegen. Solange sie über das Land bestimmten, war ich verloren.
Ich ging die Straße hinunter. Irgendwohin. Als ich an einem Schaufenster vorüber kam und zufällig einen Blick hineinwarf, erschrak ich über die Gestalt, die sich darin spiegelte. Die Schultern hingen mutlos nach unten, der Kopf war nach vorn gebeugt, die Beine schlurften über den Asphalt.
So wanderte ich ziellos durch die Stadt, die Kapuze wieder tief ins Gesicht gezogen, bis ich mich in einem Park niederließ und auf die Parkbank legte.
Ich schlief schlecht in dieser Nacht und musste eine Menge wirres Zeug geträumt haben, woran ich mich beim Aufwachen nicht mehr erinnern konnte, aber als ich aufwachte, tickte nur ein einziger Gedanke in meinem Kopf, der das Adrenalin durch meine Adern schießen und mein Herz schneller schlagen ließ. Es gab vielleicht doch noch eine Lösung für mich.
Sie war sehr schmerzhaft und nicht mehr rückgängig zu machen, aber sie würde mich aus diesem Albtraum befreien. Es war ganz einfach.
Ich musste sterben.
Es war eine verrückte Idee, aber sie konnte funktionieren. Der Gedanke an meinen Tod ließ mich wieder aufatmen. Sofort nach Sonnenaufgang machte ich mich an die Planung der Realisierung meines Vorhabens.
Nach einem ausgiebigen Frühstück fuhr ich nach Mitte in das Abbruchhaus, in dem ich die Leiche des Mannes versteckt hatte, der mich als Erster töten wollte. Carl Meyer.
Ich hielt mir Mund und Nase zu und atmete nur durch den Kragen der Kapuzenjacke, als ich den Keller betrat. Es stank mörderisch in dem Raum, und ich wäre am liebsten sofort wieder hinausgegangen. Aber ich brauchte die Leiche für meinen Plan.
Sie lag noch so da, wie ich sie verlassen hatte. Reglos unter Steinen und Ästen, die ich gefunden
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