Das sechste Opfer (German Edition)
machte, gingen wir noch in ein halbseidenes Etablissement, wo der Whisky teurer war als das Mädchen, das ihn uns brachte. Ich weiß bis heute nicht, wie ich damals nach Hause gekommen bin.
Das dritte Mal nun heute. Deshalb kann ich nur noch bruchstückhaft berichten, was an diesem Abend geschah. Nicole versuchte, mich aufzurichten, machte mir etwas zu essen, was ich aber nicht herunter bekam. Wir riefen seine Mutter an, die bereits von der Polizei über Franz' Tod benachrichtigt worden war. Unsere Worte konnten sie nicht trösten. Sie stammelte nur, dass sie morgen in die Wohnung ihres Sohnes kommen wolle. Irgendwann saß ich dann auf dem Sofa und starrte vor mich hin. Und trank weiter.
Als ich am nächsten Morgen erwachte – eigentlich war es fast Mittag –, bemerkte ich, dass ich weder Hose noch Hemd trug und mein Bettzeug auf dem Sofa lag. Nicole musste mich ausgezogen und mit dem Bettzeug zugedeckt haben. Mein Kopf dröhnte, und als mir die Realität zu Bewusstsein kam, stöhnte ich leise.
Mühsam stand ich auf und wankte ins Badezimmer, um mich kalt abzuduschen. Nachdem ich mich angezogen hatte, schleppte ich mich in die Küche, wo ich einen starken Kaffee machte und Nicoles Zettel las. Sie schrieb, dass ich meinen Artikel aus persönlichen Gründen wohl besser absagen sollte. Ich rief auch wirklich meinen Chefredakteur beim Financial Report an. Er war zwar ganz und gar nicht damit einverstanden, auf meinen Artikel zu verzichten, und hielt mir einen Vortrag über Zuverlässigkeit und seine Probleme, die Seite so kurzfristig noch umstellen zu können. Irgendwann wurde es mir jedoch zu viel und ich legte einfach auf.
Danach ging ich aus dem Haus, um mich schweren Herzens zurück in Franz' Wohnung zu begeben.
Seine Mutter war schon da. Mit blassem Gesicht und hängenden Augenlidern versuchte sie, ein paar seiner Sachen in Kartons zu räumen, doch die meiste Zeit stand sie nur geistesabwesend da und hielt einen Pullover oder einen Schuh von ihm in der Hand, als würde sie rätseln, wozu ihr Sohn dieses Ding gebraucht hatte. Als ich auf sie zukam, schien sie mich kaum zu erkennen.
»Es tut mir so leid.« Ich nahm ihre Hand und schüttelte sie leicht. Sie war kalt und lag kraftlos in meiner Hand. Frau Geier nickte mir abwesend zu. Sie hatte offensichtlich irgendwelche Pillen genommen, die den seelischen Schmerz lindern sollten, ihr aber gleichzeitig den Verstand vernebelten. Warum gab es nichts, das einfach nur die Emotionen abstellte, aber den Rest des Bewusstseins intakt ließ? Davon hätte ich jetzt gerne eine ganz Ladung genommen.
Wir schwiegen die meiste Zeit, während wir uns um Franz' Hinterlassenschaft kümmerten. Es fühlte sich merkwürdig an, in seinen Sachen zu kramen, als würde ich damit seine Privatsphäre verletzen. Als wäre ich ein Verräter, der seinen Freund ausspioniert. Dabei wollte ich doch einfach nur seiner Mutter helfen, die mit der ganzen Angelegenheit überfordert schien. Sie entschloss sich, die Sachen dem Roten Kreuz zu spenden. Also räumte ich seinen Kleiderschrank aus und packte mehrere Koffer und Tüten. Dann kümmerte ich mich um den Schreibtisch. Auf der Platte herrschte normalerweise immer Chaos, in dem nur Franz etwas wiederfand, aber heute war er erstaunlich aufgeräumt. Es lagen nur ein Fremdwörterbuch und ein paar Notizblöcke neben dem Computer.
Ich räumte seine Unterlagen aus den Schubladen in ein paar Kartons, die von meinem Umzug übrig geblieben waren und die ich mitgebracht hatte, und stellte sie dann in den Flur.
Als ich mich gerade um seine umfangreiche CD- und DVD-Sammlung kümmern wollte, fiel mir auf, dass ich die Akten über die merkwürdigen Unfälle noch nicht gefunden hatte. Sie waren weder in seinem Schreibtisch noch im Wohnzimmer. Ich ließ die DVDs links liegen und suchte in der Wohnung weiter nach den Akten, doch die waren verschwunden. Ich vermutete, dass er sie mit in die Redaktion genommen hatte, um dort weiter daran zu arbeiten, deshalb gab ich meine Suche bald auf und kümmerte mich wieder um die blitzenden, silbernen Scheiben, die weder alphabetisch noch irgendwie anderweitig geordnet zu Hunderten bunt durcheinander in Regalen und Ständern klemmten.
Am späten Nachmittag verließ ich die Wohnung meines toten Freundes. Ich brachte ein paar Kartons seiner Sachen zum Müll, andere gab ich beim Roten Kreuz ab. Ein paar Kisten verfrachtete ich in das Auto von Franz' Mutter.
Dann fuhr ich nach Hause, in dem Bewusstsein, dass ein wichtiger Teil meines
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