Das sechste Opfer (German Edition)
sei.
Ich sah mich vorsichtig um und spürte, wie die inzwischen schon fast vertraute Paranoia sich meiner bemächtigte, aber der Schüler im Teenageralter, der eben die Bäckerei betrat und belegte Käse-Brötchen und ein paar Eclairs bestellte, war mit Sicherheit kein Polizei-Spitzel, genauso wenig wie der alte Mann am Nachbartisch, der eine Postkarte schrieb. Die Frau hinter dem Tresen schon eher, sie wirkte kühl und beherrscht, aber als sie dem Teenie in Sekundenschnelle im Kopf vorrechnete, was er zu zahlen hatte, wusste ich, dass auch sie keine Polizistin sein konnte. Und mehr Menschen hielten sich in der Bäckerei nicht auf.
Aber ich musste sowieso wieder gehen, ich hatte ein neues Ziel.
Monika Fiderer wirkte verschlafen, als ich gegen zehn Uhr an ihrer Tür klingelte. Doch sie ließ mich anstandslos herein, machte auch keine Bemerkung über meine neue Haarfrisur. Stattdessen bot sie mir einen Kaffee an, den ich gerne annahm. In Anbetracht meiner schrumpfenden Geldvorräte musste ich mich soweit wie möglich durchschlauchen.
Als sie mir schließlich gegenübersaß, kam ich auf den Grund meines Besuches zu sprechen.
»Es geht um einen bestimmten Fall, den Ihr Boss damals bearbeitet hatte. Der des Apothekers Fabian Wendel. In der Liste stand nur, dass er Klage eingereicht hatte. Oder einreichen wollte, ich weiß es nicht. Worum ging es da?«
Ich brauchte einfach so viele Informationen, wie ich bekommen konnte. Ich steckte in einer Sackgasse, und die einzige Spur, die mich vielleicht noch irgendwie weiterbringen konnte, war der Fall Degenhardt-Wendel, obwohl ich auch da im Trüben fischte. Aber mehr hatte ich nicht.
Monika Fiderer sah mich mit diesem Gesichtsausdruck an, den ich bereits kannte, doch dieses Mal wusste ich sofort, wie der Hase lief. »Haben Sie zufällig auch Kopien von den Akten gemacht?«
»Nein. Das ist verboten, das darf ich nicht.«
Ich sah sie nur an und nickte. »Das weiß ich. Ich werde Sie deshalb auch nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich muss nur wissen, was da los war. Bitte.«
Dieses Mal überlegte sie nicht lange, sondern stand wortlos auf, um wieder zu ihrem Computer zu gehen, in dem sie eine Datei öffnete. Dann winkte sie mich zu ihr.
Ich ging zu ihr. Auf dem Bildschirm erschien eine angelegte Datei mit der Überschrift »Wendel, Fabian, 1032304», die sie vor meinen Augen öffnete. Es waren eingescannte Dokumente mit handschriftlichen Vermerken und Randnotizen.
Ich überflog die erste Seite der Akte und bat sie dann, mir die komplette Datei auf CD zu brennen, damit ich sie mir in Ruhe ansehen konnte, doch sie schüttelte den Kopf.
»Ich werde nicht noch eine Kopie davon anfertigen. Und wenn Sie hier weg sind, werde ich die Akten endlich löschen, es hat ja sowieso keinen Sinn mehr. Bringt mir nur Probleme. Sie können es sich hier ansehen, aber mehr nicht.«
Sie klang sehr entschlossen, also setzte ich mich an den Computer und begann zu lesen.
Es ging um eine Klage gegen einen Pharmakonzern, PIAPHE, der nach Wendels Meinung ein gutes, preisgünstiges Produkt vom Markt genommen und dafür ein teures, weniger gutes auf den Markt gebracht hatte. Es gab angeblich keine Gründe dafür, das bessere Produkt einzustellen, außer, dass es zu billig im Verkauf und zu teuer in der Herstellung war und die Konkurrenz kein gleichwertiges Mittel herstellte.
Bis dahin riss mich die Klage nicht unbedingt vom Hocker, außer der Tatsache, dass es sehr mutig war und schon fast an Wahnsinn grenzte, sich mit einem solchen Riesen wie PIAPHE anlegen zu wollen. Aber dann wurde es besser. Wendel hatte offensichtlich gut recherchiert und herausgefunden, dass Forschungen anderer Firmen zu diesem Mittel auf einen Schlag eingestellt wurden, und er vermutete, dass PIAPHE dahinter steckte, das die Forscher aufkaufte oder anderweitig von weiteren Nachforschungen abhielt. Er hatte sogar einen Zeugen finden können, der aussagte, dass er abgeworben wurde.
Degenhardt schien Gefallen an dem Fall gefunden zu haben, denn er kniete sich offensichtlich sehr hinein. Er versuchte, den Zeugen aufzutreiben, der jedoch inzwischen nach Amerika gegangen war und nicht mehr zur Verfügung stand. Stattdessen untersuchte der Anwalt die Praktiken von PIAPHE, worüber er leider kaum Aufzeichnungen machte.
Erst weiter unten sah ich etwas, was meinen Herzschlag für ein paar Sekunden aussetzen ließ. In krakeliger Anwaltsschrift waren zwei Worte mit einem Fragezeichen dahinter geschrieben »Sieben Zwerge?« Und daneben war die
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