Das sechste Opfer (German Edition)
Zeichnung der ineinander geschobenen Dreiecke. Das Zeichen, das in Andreas Werners Handschuhfach geritzt war.
Ich fühlte mich wie ausgewechselt. Das Adrenalin schoss durch meine Adern und führte zu einen aufgeregten Kribbeln in meinen Beinen. Es gab also eine Verbindung zwischen Degenhardt, Wendel und Andreas Werner. Dann existierte mit Sicherheit auch ein Zusammenhang zwischen ihnen und dem Potsdamer Bauunternehmer, dem Buchhalter von PROSAT und dem Autoverkäufer aus Spandau. Franz hatte Recht, sie waren alle miteinander verknüpft, nicht nur durch den korrupten Staatsanwalt. Irgendetwas verband sie, und es hatte etwas mit diesem Zeichen zu tun, dessen war ich mir sicher.
Plötzlich vermisste ich Franz schmerzlich, der an dieser Stelle sofort gewusst hätte, was zu tun sei, und ich fürchtete nur noch mehr, dass er bereits vor Tagen einer Spur gefolgt war, die ihn das Leben gekostet hatte. Und auf einmal fragte ich mich, wieso ich noch lebte und nicht ebenfalls einem ominösen Unfall zum Opfer gefallen war. Oder befanden sie sich noch in der Planungsphase und bereiteten in diesem Moment alles vor, mich von dieser Welt zu befördern? In meinem Fall war es inzwischen ganz einfach, dazu benötigten sie nicht mal einen wohlinszenierten Unfall. Ich war ein gesuchter Mörder, wie die Zeitungen schrieben, sehr gefährlich und eiskalt. Wenn mich also ein Polizist auf offener Straße erschoss, gab es für ihn lediglich etwas Papierkram, aber sonst krähte kein Hahn nach meinem Ableben. So sah es wohl aus.
Umso mehr musste ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um den wahren Täter zu finden. Und mich ganz besonders in Acht nehmen, sobald ich wieder auf die Straße trat.
Ich fuhr von Monika Fiderer mit meiner U-Bahn-Tageskarte, die ich mir geleistet hatte, direkt zurück in das Fitnessstudio, wo ich Franz' Laptop an eine Steckdose steckte, mir einen Aufbaudrink genehmigte und dann begann, meine Erlebnisse aufzuschreiben. Ich rekapitulierte meine Interviews mit den Witwen und Sekretärinnen, schrieb meine Affäre mit Clara dazu und mein Desaster mit Nicole, und ich versuchte, Franz' Rolle in der Geschichte darzustellen. Es war eine Aufzählung von Fakten und Tatsachen und Beobachtungen, die jedoch dieses Mal wesentlich früher anfing: am Morgen meines Umzugs. An dem Tag, an dem ich Clara kennen lernte.
Ich schrieb, bis meine Finger schmerzten und ich merkwürdige Blicke vom Fitnesstrainer auffing, weil ich den letzten Tropfen meines Fitnessdrinks aus dem Glas leckte.
Als ich einen nagenden Hunger in meinem Magen verspürte, mir die teuren Fitnessriegel jedoch nicht leisten konnte, speicherte ich alles ab, packte den Computer wieder ein und ging hinaus, um etwas zu essen zu organisieren.
Ich lief die Straße hinunter zum Supermarkt, wo ich billigen Nudeleintopf kaufte, der auch kalt genießbar war, und ein paar Flaschen Wasser. Doch als ich schließlich mit meinen Schätzen auf den Bürgersteig trat, stockte mir der Atem. Denn auf der anderen Straßenseite stand mit dem Rücken zu mir eine dunkelhaarige Frau. Clara. Sie trug einen teuren Mantel und Stiefel, dazu eine edle Handtasche. Ich ließ fast meine Einkäufe fallen, so aufgeregt war ich plötzlich. Meine Hände zitterten, in meinem Kopf pochte es.
Ich wechselte die Straßenseite und ging schnellen Schrittes auf sie zu. Sie würde mir Erklärungen geben müssen. Mein Herz raste und ich hoffte, dass sie mich jetzt endlich aus diesem Albtraum aufwecken würde.
Sie ging weiter, ich eilte hinterher, und als ich sie endlich eingeholt hatte, fasste ich sie an der Schulter und drehte sie herum.
»Clara!«
Doch als sie sich mir zuwandte, spürte ich, wie die Enttäuschung bitter durch meine Adern kroch. Es war nicht Clara: Vor mir stand eine fremde Frau, die mich verwundert ansah.
Ich entschuldigte mich bei ihr, was sie mit Stirnrunzeln und Naserümpfen zur Kenntnis nahm. Sie stakste auf ihren hohen Stiefeln weiter und ließ mich stehen. Bei näherer Betrachtung sah sie überhaupt nicht aus wie Clara, sie war viel kleiner, aber ich konnte mich kaum bewegen, so enttäuscht war ich. Die Hoffnung, durch die Begegnung Antworten zu erhalten und zu meinem normalen Leben zurückkehren zu können, war so groß gewesen, dass sie mich halb blind gemacht hatte. Ich hatte mich an einen Strohhalm geklammert, der in diesem Malstrom, in dem ich mich befand, meine einzige Rettung zu sein schien. Die Ereignisse der vergangenen Tage hatten mich immer tiefer in diesen tosenden Strudel
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