Das sechste Opfer (German Edition)
mir lieber einen anderen Raum im Keller. Direkt neben dem Toten liegen wollte ich dann doch nicht unbedingt.
Also richtete ich mir wieder ein einigermaßen gemütliches Lager im Nebenkeller her, kuschelte mich in meine Jacke und legte mein müdes Haupt auf Franz' Computer und schlief schließlich erschöpft ein, trotz aller Gedanken, die sich nur darum drehten, was es wohl mit diesem Toten auf sich hatte. Wen hatte ich da wirklich getötet?
Als ich im sanften Morgenlicht nach kaum genossener Nachtruhe das Geld aus meiner Hosentasche holte und es zählte, wurde mir auf nüchternen, hungrigen Magen schlecht bei der Anzahl der mir verbliebenen Euro. Ich besaß noch sieben Euro und ein paar Cent. Das war alles. Es würde nicht einmal für eine Fitnessstudio-Karte reichen.
Ich stand auf und ging zu der Leiche im Nebenraum, um an dem inzwischen steifen Körper nach Geld zu suchen. Aber da war nichts. Stattdessen fand ich noch zwei Magazine Munition für die Waffe, ein Handy und einen Schlüssel, der zu einem Vorhängeschloss oder einem Fahrradschloss oder etwas Ähnlichem passte. Er war klein und hatte einen grünen Griff. Im Stiefel fand ich noch ein Messer, das ich zusammen mit Schlüssel und Handy einsteckte, aber mehr fand ich nicht. Ich wusste aber auch nicht, wonach ich suchen sollte. Aber als ich gerade aufgeben und die gefundenen Utensilien einstecken wollte, sah ich mir die Uniform des Toten noch einmal genauer an. Und auf einmal fiel mir etwas Seltsames auf. Es bestanden kleine Unterschiede zu normalen Polizeiuniformen, die ich in der Eile vorher gar nicht bemerkt hatte. Sie war zwar farblich genau wie üblich, aber ein paar Details fehlten. Es gab keine Brusttaschen, und als ich auf die Knöpfe der Schulterklappen sah, rauschte wieder das Adrenalin durch meine Adern. In die Knöpfe war das Zeichen der ineinander verwobenen Dreiecke graviert.
Er war wirklich kein Polizist. Und ich war damit kein Polizistenmörder.
Ich atmete tief ein. Ich hatte auch keinen Unschuldigen getötet.
Auf einmal fielen eine Menge Angst und Druck von meiner Seele ab, und ich konnte wieder befreiter atmen. Als wäre eine Zentnerlast Steine von meinen Schultern gerutscht, war es mir plötzlich wieder möglich, aufrecht zu stehen und der Welt ins Auge zu blicken. Mein Zweikampf war kein Kampf zwischen Gut und Gut, wie ich zuerst gedacht hatte, bei dem jeder Ausgang einen üblen Nachgeschmack haben würde, sondern das althergebrachte Ringen zwischen zwei Gegnern, zwischen Gut und Böse, und das Gute hatte gesiegt. Jedenfalls aus meiner Perspektive.
Auf einmal war ich sehr glücklich, noch auf freiem Fuße zu sein und meine Angelegenheit weiter verfolgen zu können. Und ich überlegte, wie meine nächsten Schritte aussehen würden. Da ich jetzt wusste, dass es offenbar eine Art falsche Polizei gab, die vor nichts zurückschreckte, eröffnete mir das ganz neue Möglichkeiten an möglichen Tätern, die wirklich hinter dem Mord an Gruneveld stecken könnten.
Ich beschloss, dem angeblichen Zeugen, der mich bei Gruneveld gesehen hatte, einen Besuch abzustatten.
***
Es war nicht einfach, den Mann zu finden. Ich klingelte bei jedem Bewohner der Anlage unter dem Vorwand, einen Artikel über Grunevelds Ermordung zu schreiben, aber die meisten hatten zwar von dem bedauerlichen Vorfall gehört, aber keine Ahnung, was da wirklich passiert war. Es gab eine Mieterin, die mir sehr skeptisch begegnete und damit drohte, die Polizei zu rufen, falls ich sie weiter belästigen sollte, aber ich konnte sie beruhigen.
Am Abend kam ich noch einmal wieder, nachdem ich im Reformhaus einen Apfel gestohlen und danach im Hinterhof eines Hauses ein paar alte Konserven im Müll gefunden hatte, die aber durchaus noch in Ordnung waren, und befragte die Mieter, die am Morgen nicht da gewesen waren.
Und schließlich fand ich ihn. Dass er ein Lügner war, verriet er mir einfach durch die Tatsache, dass er keine Ahnung hatte, wer ich war. Kein Zucken, kein Erschrecken und auch keine Panik in den Augen, weil ein Mörder vor ihm stand. Wie alle anderen öffnete er mir die Tür und sah mich an, als hätte er mich noch nie gesehen.
»Ja?«
»Hallo. Mein Name ist Franz Geier, ich arbeite als Polizeireporter beim Morgenspiegel und schreibe über den Mord an Dr. Gruneveld. Ich habe aus sicherer Quelle erfahren, dass Sie den Täter gesehen haben. Stimmt das?«
»Na, wenn Ihre Quelle so sicher ist, dann wird's wohl stimmen.«
Sein Blick war herablassend und gelangweilt. Er war um die
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