Das sechste Opfer (German Edition)
anrufen und denen genau das erzählen, was Sie mir gerade erzählt haben.«
Er sah entsetzt aus und nickte so zögerlich, dass ich eigentlich hätte stutzig werden müssen, doch ich achtete nicht darauf. Ich sah mich schon mit wehenden Fahnen mein Leben zurückerobern.
»Ich hole es.« Er ging zum Wohnzimmer hinaus, Richtung Schlafzimmer, wie ich glaubte. Doch als die Tür klappte, wurde mir mein Fehler bewusst. Sie klang viel zu tief und fest für eine Schlafzimmertür. Außer, er hatte dort eine Sicherheitstür angebracht, aber das bezweifelte ich. Er war zur Wohnungstür hinaus gerannt.
Ich folgte ihm, doch ich konnte nur noch sehen, wie er zur Haustür hinauslief. Ich rannte die Treppe hinunter, aber als ich unten ankam, hatte er sich in seinen blauen Polo gesetzt und rauschte davon. Ich war zu Fuß, wie schon seit Tagen, so starrte ich nur seinen Auspuffgasen hinterher.
Enttäuscht ging ich zurück zum Haus, aber wenigstens wusste ich endlich, dass die Auflösung nicht mehr lange auf sich warten lassen konnte. Es war ein gutes Gefühl, wenn der Gegner kein unbekanntes, unheimliches namenloses Wesen mehr war, sondern wenn plötzlich darin Menschen auftauchten. Zwar blieben die Sieben Zwerge noch immer ein Phantom, aber es waren Bestechung und Erpressung im Spiel und Menschen aus Fleisch und Blut. Das machte das Ganze etwas leichter durchschaubar für mich, und weit weniger mysteriös. Ich musste lediglich die richtigen Leute aufstöbern und aushorchen, dann würde mein Leben wieder in die richtigen Bahnen geraten.
Ich ging zurück zum Haus und überlegte gerade, wo ich am besten auf Frank Benedikts Rückkehr warten sollte, als mir eine andere Idee kam.
Das Postfach
In die Räume der Gerichtsmedizin zu gelangen, grenzte schon fast an ein Wunder. Das Gebäude wirkte wie ein Hochsicherheitstrakt, aber als ich über das Haustelefon am Eingang Franz Geier erwähnte und dabei fallen ließ, dass ich mit ihm zusammen gearbeitet hatte, erbarmte sich einer der Gerichtsmediziner und ließ mich hinein.
In den Gängen roch es nach Formaldehyd und Desinfektionsmittel, als ich zum Sektionssaal kam, wurde der Geruch noch penetranter und erinnerte zudem stark an den in einer Fleischerei.
Die Tür stand offen. Auf einem der Edelstahltische in dem sonst kahlen Raum lag unter grellem Neonlicht eine frische Leiche, die von einem jungen Mann in einer weißen Schürze über einem grünen Kittel gerade zugenäht wurde. Die einzelnen Organe befanden sich gut verpackt auf dem Ablagetisch am Fußende der Leiche, an dem sich ein etwas älterer Mann in einer ebenfalls weißen Schürze über dem grünen Kittel zu schaffen machte. Beide trugen Gummistiefel. Der Ältere drehte sich um, als er mein »Guten Tag« hörte.
Er hatte einen dichten, dunklen Vollbart, der mit grauen Strähnen durchzogen war. Darüber befanden sich ein paar warme, braune Augen und buschige Augenbrauen. Sein Kopfhaar war noch etwas weißer als der Bart, aber genauso dicht und voll. Er kam auf mich zu.
»Sie sind der Freund von Franz?«
»Ja. Peter Mann.« Ich wagte es nicht, meinen richtigen Namen zu nennen, deshalb kürzte ich ihn einfach ein.
»Ich bin Axel Janosch. Kann es sein, dass wir uns neulich am Telefon unterhalten haben? Sie hatten nach Franz' Leiche gefragt, wie lange er schon tot war, als Sie ihn gefunden haben, richtig?«
»Richtig.«
Ich war froh, eine bekannte Größe vor mir zu haben und wollte ihm die Hand geben, doch dann sah ich, dass er blutverschmierte Handschuhe trug und ließ es lieber sein. Er lächelte.
»Sie waren noch nie hier?«
»Nein. Ich bin mehr für den Wirtschaftsteil der Zeitung verantwortlich.«
Er nickte verständnisvoll. »Ich habe viel mit Franz zu tun gehabt, es tut mir wirklich sehr leid, dass das mit ihm passiert ist. Er war noch viel zu jung für so einen Mist.«
»Ja, deshalb bin ich auch hier.«
Er zog fragend die Augenbrauen zusammen. Ich warf einen Blick zu dem jungen Mediziner an der Leiche und sah dann zu Axel Janosch. Er verstand nicht, was ich meinte. Deshalb wurde ich deutlicher. »Können wir uns irgendwo unterhalten?«
»Sicher. Ich habe jetzt allerdings erst eine Präsentation, das heißt, die Abnahme meines Berichtes. Doch danach können wir reden. Meine Schicht geht bis zum frühen Morgen, ich habe gerade erst angefangen.«
Wir verabredeten, dass ich in der Cafeteria im Nebengebäude der Gerichtsmedizin auf ihn warten sollte.
Der Raum war leer bis auf eine junge Frau, die mit einer Haube über ihrem braunen
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