Das sechste Opfer (German Edition)
Schwarzfahren in der U-Bahn erwischt zu werden, hatte ich genügend Zeit gehabt, um über diese seltsamen Polizisten nachzudenken, und ich war zu dem Schluss gekommen, dass es sich dabei um eine Art Geheimpolizei handeln musste, die sowohl Leute umbrachte, als auch hinterher Ordnung schaffte. Ich wusste nun schon von drei Männern, die dazu gehörten: der Tote, sein Partner, der auf mich geschossen hatte, und der Kerl, der Gruneveld getötet hatte. Alles junge Kerle, die offenbar vor nichts zurückschreckten. Es musste sich dabei um eine Organisation mit einem Auftraggeber und einem Ziel handeln. Und genau das musste ich in Erfahrung bringen.
Also ging ich zu dem Toten, knöpfte ihm die Uniform auf und zog sie ihm aus. Danach sammelte ich Holz, Steine und Erde, alles, was ich in den Kellerräumen finden konnte, und stapelte sie auf den leblosen Körper. Sobald ich konnte, würde ich der Polizei seinen Aufenthaltsort mitteilen, aber das musste noch warten. Eine zweite Mordanklage konnte ich momentan nicht gebrauchen.
Ich steckte die Waffe samt Munition, die unangetastet neben dem Laptop lag, unter meine Shirts in den Hosenbund, nahm den Computer und die Uniform und stieg mit meinem Bündel aus dem Kellerfenster hinaus an die frische Luft.
Ich lief ein wenig durch die Straßen Richtung Berlin Mitte, bis ich zu einem Waschsalon kam, der vierundzwanzig Stunden geöffnet hatte. Obwohl ich kein Freund der Bezirke Prenzlauer Berg oder Mitte war, so musste ich doch zugeben, dass sie selbst zu so später Stunde immer noch ein lebendiges und aktives Flair versprühten. Es musste jetzt weit nach Mitternacht sein an einem Dienstag, und dennoch liefen junge Menschen lachend aus den Bars und Restaurants, standen in Gruppen in der milden Frühlingsnacht und gingen in die kleinen Läden, die aus irgendeinem Grund die Ladenöffnungszeiten außer Kraft setzen durften und Tag und Nacht geöffnet hatten. Wie dieser Waschsalon.
Am liebsten hätte ich die Sachen, die ich am Leibe trug, mitgewaschen, aber das ging nicht. Zum einen wollte ich sie nicht in dieselbe Maschine stecken wie die blutige Uniform – und für zwei Maschinen war ich zu geizig –, zum anderen konnte ich schlecht nackt hier sitzen und warten. Obwohl das wahrscheinlich nicht aufgefallen wäre. Hier war alles möglich.
Stattdessen nahm ich Franz' Computer und versuchte, ihn in Gang zu setzen. Ich steckte den Stecker einer Waschmaschine aus der Steckdose an der Wand und klemmte dafür den Stecker des Laptops hinein in der Hoffnung, dass ein Wunder geschehen und er trotz seiner starken Beschädigung funktionieren würde. Denn inzwischen war mir eingefallen, dass ich den Computer sehr gut für einige Recherchen im Internet in Bezug auf PIAPHE nutzen konnte.
Als ich das Einschaltknöpfchen drückte, geschah jedoch erst einmal gar nichts. Meine Hoffnungen sanken auf ein Minimum, doch als ich ein bisschen schüttelte und wackelte, ging das Licht auf dem Bildschirm doch noch an. »Willkommen« begrüßte er mich, und mein Herz machte zwei, drei kleine Extrahüpfer vor Freude.
Der Rechner funktionierte tatsächlich, selbst dann noch, nachdem ich ihn aus Versehen noch einmal etwas heftiger geschüttelt hatte. Irgendetwas klapperte ganz gefährlich darin, aber ich hoffte, dass es nur etwas Unwichtiges war.
Dann schrieb ich die Erkenntnisse des heutigen Tages in eine Datei und ergänzte meine bisherigen Entdeckungen.
Die saubere Uniform steckte ich in den Trockner und arbeitete weiter, bis sie trocken war und es daher für mich keinen Grund mehr gab, mich noch länger hier aufzuhalten. Aber da ich noch immer als Einziger in dem Salon saß und es hier warm war und gut duftete, blieb ich einfach so lange sitzen, bis die Nacht draußen langsam in einen freundlichen Morgen überging und die Straßen sich mit anderen Menschen füllten. Die Nachteulen waren verschwunden, die Bars und Kneipen geschlossen, jetzt bevölkerten emsige Leute in Anzügen und Business-Kostümen die Fußwege und Straßen und eilten zur Arbeit. Die Straßenreinigung fuhr mit einem lauten Brummen langsam am Rinnstein entlang, um die Überreste der Nacht zu beseitigen. Die Supermärkte öffneten, und in einigen Läden fand einfach nur ein Schichtwechsel statt. Endlich kam ein weiterer Besucher in den Waschsalon. Eine junge Frau hielt einen Becher mit aromatisch duftendem Kaffee in der Hand, warf mir und dem Rechner einen wohlwollenden Blick zu, bevor sie ihre Wäsche aus einem Plastikbeutel in eine der
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