Das sechste Opfer (German Edition)
gefunden, das ebenfalls unter dieser Adresse läuft. Da schickt er jetzt alles hin.«
»Sie haben wohl nicht zufällig die Nummer des Postfachs?«
»Doch, habe ich. Zum Weiterleiten, falls doch mal wieder etwas in diesem Briefkasten landet. Aber wofür wollen Sie die denn haben?«
»Da kann ich meinem Freund eine Nachricht hinterlassen. Denn vielleicht ist er ja dort gelandet. Ist nur eine Vorsichtsmaßnahme.«
»Sie können ihm aber auch hier eine Nachricht hinterlassen, falls er hier noch auftaucht.«
»Ja, das kann ich auch. Beides.«
»In Ordnung.«
Der alte Pfarrer ging zu einem Schreibtisch in der Ecke des Raumes und kramte in einer Schublade, dann schrieb er ein paar Zahlen und Buchstaben auf einen Zettel, den er mir dann gab. Dankbar nahm ich den Zettel und verabschiedete mich von ihm. Danach nahm ich meine Tüte und ging wieder hinaus ins Freie, wo mir der Lärm und Hektik der Stadt auf einmal wie eine Vergewaltigung meiner Sinne vorkam. Es stank, war laut und grell.
Ich nahm den Zettel fest in die Hand und holte aus meiner Jackentasche den Schlüssel, den ich bei dem falschen Polizisten gefunden hatte. War es ein Zufall oder ergab alles irgendwie so langsam einen Sinn. Ob dieser Schlüssel wohl zu dem Postfach passen würde?
Das Postgebäude war zu dieser Stunde rappelvoll. Eine lange Schlange hatte sich vor dem Tresen gebildet und wartete mehr oder weniger geduldig darauf, bedient zu werden. Die Pakete und Briefe waren schnell abgefertigt, aber ewig dauerte es, wenn ein Kunde unbedingt eine Ein- oder Auszahlung über sein Postbank-Konto tätigen wollte. So standen ein paar murrende Leute in der Schlange, und ein paar, die sich schweigend in ihr Schicksal gefügt hatten.
Zum Glück ging mich das alles nichts an. Ich wanderte mit meinem Schlüssel sofort zu dem Postfach, dessen Nummer mir der Pfarrer aufgeschrieben hatte, führte den Schlüssel ins Schloss und hoffte, dass er passen und dass, falls nicht, nicht irgendein Alarm ausgelöst werden würde.
Ich hielt kurz den Atem an, bevor ich den Schlüssel umdrehte.
Er passte tatsächlich. Er rutschte leicht in das Schloss und drehte sich bei der kleinsten Muskelanspannung meiner Hand.
Es war seltsam, wie ich in den vergangenen Tagen von Hinweis zu Hinweis geführt worden war, ohne auch nur den blassesten Schimmer davon zu haben, wie alles zusammenhing. Als würde ich mit verbundenen Augen ein Puzzle zusammenbauen, war ich durch die Stadt gelaufen und den Spuren gefolgt, ohne zu wissen, wie sie in das Bild passen würden.
Und nun stand ich mit wild klopfendem Herzen vor diesem Postfach und fragte mich, was mich erwartete. Autowerbung? Ein abgeschnittener Finger? Ein Bekennerbrief?
Mit zitternden Fingern öffnete ich die Tür des Fachs. Doch dann ließ ich enttäuscht die Hand sinken.
Das Postfach war leer.
Zielscheibe
Nichts befand sich in dem Postfach, nicht mal ein Staubkorn. Ich war enttäuscht und ließ es frustriert wieder zuklappen.
Wieder einmal war ich ratlos und wusste nicht, was ich als nächstes tun sollte. Was kam jetzt? Wo war das nächste Puzzlestück?
Ich konnte noch einmal zu Frank Benedikt fahren und ihn dazu überreden, zur Polizei zu gehen, aber das war wohl genauso sinnlos, wie die Stadt nach dem Partner des falschen Polizisten abzusuchen. Vielleicht konnte ich auch eine Straßenumfrage machen, wer schon einmal den Begriff »Sieben Zwerge« gehört hatte und das Zeichen mit den merkwürdigen Dreiecken kannte. Oder ich stellte mich einfach der Polizei und ließ mich in eine gemütliche Zelle einweisen, wo ich schlafen konnte und regelmäßige Mahlzeiten bekam.
Mein Magen knurrte, so dass mir schon ganz schlecht war. Und ich fühlte mich so müde, dass ich kaum noch denken konnte.
Ich setzte mich für eine Minute auf die Fensterbank, um nachzudenken, als mir die Idee kam, dass irgendwann doch sicher jemand zu diesem Postfach kommen würde, um es zu leeren. Denn wenn der Pfarrer wirklich so viel Post bekam, wie er vorhin erzählt hatte, dann musste es gerade geleert worden sein. Das heißt, irgendwann würde eine Person kommen, die das Verbindungsglied zu dem Fall darstellte. Ich musste nur abwarten.
Aus dem Papierkorb neben der Tür sah ich eine Zeitung von heute ragen, die ich mir schnappte und mich damit auf die Fensterbank setzte. Mit einem Auge las ich die neuesten Nachrichten aus Berlin und der Welt, mit dem anderen beobachtete ich das Postfach, während ich krampfhaft versuchte, in der Wärme des Raumes und seinen monotonen
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