Das Siebte Kind - Das Geschenk der Telminamas (German Edition)
mächtigen Baumkronen um ihn herum tummelten sich kleine, bläulich schimmernde Elfenwesen, die miteinander zu tuscheln schienen. „Was sind das für zauberhafte Gestalten?“, fragte er überwältigt von dem wundervollen Anblick.
„Das sind Telminamas“, antwortete Beron. „Du bist schon einem ganz besonderen von ihnen begegnet, nicht wahr?“
„Ja, heute Mittag, als ich am Fluss aufwachte, setzte sich so ein Wesen auf meine Brust und verschwand dann in mir“, sagte Sid und fasste sich an die oberen Rippen. „Es fühlte sich so an, als wäre die kleine Gestalt direkt in mein Herz eingedrungen.“
„Und so ist es auch tatsächlich, Sid. Dein Telminama ist jetzt in dir, so wie bei Wulf und mir.“ Beron blickte hinauf zu den unzähligen elfenartigen Geschöpfen über ihm. „All die schimmernden Gestalten, die du hier siehst, warten noch auf ihren Menschen. Sie sind so etwas wie Abbilder, Erinnerungen.“ - „Wir alle waren ganz am Anfang schon einmal hier in diesem Land, wir haben hier unseren Ursprung, und in dem Moment, in dem wir unsere Reise beginnen und unsere wahre Heimat verlassen, bleibt dieser kleine Teil von uns zurück. Wir sind nie ganz fort.“ - „Wenn die Zeit eines Menschen abgelaufen ist, dann kommt sein Telminama, um ihn wieder hier herüber zu holen. Bei dir war es ein bisschen anders, weil dein Leben eigentlich noch nicht zu Ende war.“
Sid war tief beeindruckt von Berons Worten und der Magie, die ihn umgab, in seinem Kopf hörte er noch einmal Hilgaards heisere Stimme: „Es soll sehr schön sein auf der anderen Seite. Niemand weiß es wirklich, aber fühlen, glaube ich, kann es jeder.“ Vielleicht war es diese immer fortbestehende Beziehung zwischen Mensch und seinem Telminama, die Hilgaard mit diesem Satz beschrieben hatte.
Eine Weile folgte Sid Beron und Wulf schweigend tiefer in den heiligen Wald, doch dann brannte ihm die nächste Frage auf der Zunge. „Warum sind hier so viele von ihnen?“, meinte er neugierig. „Den ganzen Nachmittag über habe ich keinen einzigen Telminama getroffen?“
„Am Tag sind sie nicht so gut zu sehen. Meistens fällt einem nur dieses Glitzern in der Luft auf. Und sie lieben Eichen, deswegen versammeln sie sich am Abend sehr gerne hier“, erklärte ihm Wulf.
Staunend wanderte Sid weiter und konnte seine Augen kaum von dem Elfenvolk über ihm abwenden. Aber als er über eine große Baumwurzel stolperte, fiel ihm mit einem Mal auf, dass die urigen Eichen jetzt viel höher und dicker waren als noch am Waldrand. Plötzlich raschelte es im Gesträuch und ein halbdurchsichtiges, bläulich leuchtendes Reh in Miniaturausgabe sprang vor Sids großen Füßen über den moosbedeckten Boden. „Es gibt ja auch Tier-Telminamas“, rief er überrascht.
„Ja, natürlich. Was hättest du gedacht?“, meinte Wulf belustigt über Sids Unwissenheit. „Jedes Lebewesen besitzt ein Telminama. Wir Menschen sind nichts Besonderes. Im Gegenteil.“
Sid spähte nun aufmerksamer durch den dämmrigen Wald und tatsächlich entdeckte er die winzigen „Erinnerungen“ von Vögeln, Hasen und Füchsen. Sie alle waren friedlich miteinander, ja, sie schienen sogar Freunde zu sein.
Nach etwa einer halben Stunde nahmen die Bäume gigantische Ausmaße an, und Beron deutet nach oben. „Hier sind unsere Wohnungen“, verkündete er stolz.
Sid blickte zweifelnd hinauf in das Blätterdach, aber er konnte zunächst nichts Besonderes erkennen. Doch als er genauer hinsah, wollte er kaum seinen Augen trauen. Die Bäume hier waren keine normalen Eichen. Nicht weil sie so riesig waren, sondern weil sich ihre Stämme und Äste ganz eig enartig zusammenflochten und dadurch hoch über dem Boden ein regelrechtes Wegenetz zur Entstehung brachten. Während Sid neben Beron und Wulf unter den Bäumen weiter wanderte, erspähte er im fahlen Licht der Dämmerung tatsächlich auch eine große Anzahl an Wohnräumen. Dort oben befand sich wahrhaftig ein ganzes Dorf!
Sid kam aus dem Staunen nicht heraus, denn nach einiger Zeit hörte der Wald abrupt auf, und er stand mit Beron und Wulf an einem breiten, kiesigen Uferstreifen, hinter dem sich eine endlose, dunkelblau schimmernde Wasserfläche bis zum Horizont erstreckte. Die Sonne war schon längst untergegangen, nur noch ein paar Wolken, die langsam am Abendhimmel dahinzogen, leuchteten in glühendem Orange. Alles war still und friedlich, nur einige Wasservögel waren zu beobachten, die vertrauensvoll angeschwommen kamen und sich im
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