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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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beschrieb sehr ruhig in ein paar Sätzen Ort und Verhältnisse, wie er sie aus der Erzählung eines Mitgefangenen kannte. »Jetzt paß mal auf, was die Liesel für ein Gesicht macht!« sagte Röder. Er drückte auf den Schellenknopf. Georg hörte auch noch den feinen, schrillen Ton, dann kam ein Gewitter aus Türenschlagen und Kindergeschrei und Liesels Stimme: »Da bin ich ja wirklich platt.« Wolken rauschten aus geblümten Kleidern und Tapeten mit Bilderchen und Gesichtern mit tausend Sommersprossen und erschrockenen Äugelchen – dann war es dunkel und still. Das erste, was Georg wieder hörte, war Röders Stimme, die zornig befahl: »Kaffee – Kaffee, hörst du, kein Spülwasser!« Georg richtete sich auf dem Sofa hoch. Er kehrte mit großer Anstrengung aus der Ohnmacht, in der er sich sichergefühlt hatte, in Röders Küche zurück. Das passierte ihm immer noch mal, erklärte er, und hätte nichts auf sich. Liesel solle sich jetzt nicht mit Kaffeemahlen aufhalten.
     
    Er brachte seine Beine unter den Küchentisch. Er legte seine verbundene Hand zwischen die Teller auf das Wachstuch. Liesel Röder war eine dicke Frau geworden, die nicht mehr in Pagenhöschen gepaßt hätte. Der warme, ein wenig schwere Blick ihrer braunen Augen ruhte kurz auf Georgs Gesicht. Sie erklärte: »Gut, das Gescheiteste, was du jetzt tun kannst, iß, wir trinken dann nachher.« Sie richtete Tisch und Essen. Röder setzte seine drei ältesten Kinder um den Tisch herum. »Wart, ich schneid dir’s klein, Georg, oder kannst du’s aufspießen? Bei uns ist jeden Tag Eintopfsonntag. Willst du Senf, willst du Salz? Gut gegessen, gut getrunken, hält Leib und Seele zusammen.« Georg sagte: »Was für ein Tag ist heut?« Röders lachten: »Donnerstag.« – »Du hast mir dein Wurstpärchen gegeben, Lisbeth«, sagte Georg, der sich mit aller Kraft seines Willens in den gewöhnlichen Abend einfand, wie man sich in die höchste Gefahr einfinden kann. Wie er nun aß mit seiner gesunden Hand, und die anderen aßen auch, bald warf ihm Liesel, bald Paul einen kurzen Blick zu, da spürte er, daß sie ihm lieb waren und auch er ihnen lieb geblieben war.
     
    Auf einmal hörte er etwas steigen im Treppenhaus, immer höher – er horchte. »Was horchst du denn?« fragte Paul. Die Schritte stiegen weiter. Auf dem Wachstuch neben seiner kranken Hand war ein Kreisrund, wo man einmal eine heiße Tasse abgestellt hatte. Georg nahm das Bierglas, und er drückte es wie einen Stempel auf die verblaßte Stelle: »Komme, was da kommen mag.« Paul, der diese Bewegung in seiner Art auslegte, öffnete die Bierflasche und goß ein. Man aß und trank langsam zu Ende. Paul sagte: »Wohnst du wieder daheim bei den Eltern?«  – »Vorübergehend.« – »Mit deiner Frau bist du ganz auseinander?« – »Mit welcher Frau?« Röders lachten. Georg zuckte die Achseln. »Mit der Elli!« Georg zuckte die Achseln: »Wir sind ganz auseinander.«
     
    Er riß sich zusammen. Er sah sich um. All die erstaunten Äugelchen! Er sagte: »Ihr habt ja inzwischen allerlei fertiggebracht.« – »Weißt du denn nicht, daß sich das deutsche Volk vervierfachen muß?« sagte Paul mit lachenden Augen. »Du hörst nicht zu, wenn der Führer spricht.« – »Doch, ich hör zu«, sagte Georg. »Aber er hat doch nicht gesprochen, das muß das Paulchen Röder aus Bockenheim alles ganz allein machen.« – »Es ist jetzt wirklich nicht mehr so schwer«, sagte die Liesel Röder, »Kinder zu bekommen.« – »Das war’s ja nie.« – »Ach Georg«, rief Liesel, »dir kommen deine Lebensgeister zurück.« – »Nein, es ist wahr, wir waren fünf zu Haus, und ihr?« – »Der Fritz, der Ernst, ich und der Heini – vier.« – »Nie hat ein Hahn nach uns gekräht«, sagte die Liesel. »Jetzt geschieht doch was.« Paul sagte mit lachenden Augen: »Liesel hat einen staatlichen Glückwunsch von der Direktion bekommen.« – »Habe ich bekommen, ja ich!« – »Soll man dich vielleicht für die große Leistung beglückwünschen?« – »Spaß beiseit, Georg, all die Vergünstigungen und die Zulagen, sieben Pfennig pro Stunde, das spürst du. Die Befreiung von den Abzügen und ein solcher Stoß bester Windeln!« – »Als ob die NS-Volkswohlfahrt geahnt hätte«, sagte Paul, »daß die alten von drei Vorgängern morschgeschissen sind.« – »Hör gar nicht auf den«, sagte Liesel, »dem Paul seine Äugelchen haben ganz schön gefunkelt, er war fidel wie in seiner Bräutigamszeit, diesen August auf

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