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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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»Lieber ein bißchen Gehetz und ein paar Mark mehr«, sagte Paul. »Lieber Überstunden als Luftschutzübung.« Georg sagte: »Und ‘n bißchen rascher älter werden.« – »Das kannst du sowieso in ‘nem neuen Krieg haben, ein bißchen rascher älter werden. So ‘ne Großartigkeit, Schorsch, ist das Ganze ja überhaupt auch nicht, daß du ewig dran rumlutschen möchtest.« – »Ich komm, Liesel.« Er sah sich um und sagte: »Das einzige, Schorsch, womit deckt man dich zu?« – »Gib mir meinen Mantel, Röder!« – »Was du da für ‘nen komischen Mantel hast, Schorsch, leg nur das Kissen auf deine Füße, vertritt der Liesel ihre Rosen nicht.« Plötzlich fragte er: »Unter uns, warum hat’s denn bei euch wieder Krach gegeben – wegen ‘nem Mädchen?« – »Ach«, sagte Georg, »wegen – wegen dem Kleinen, dem Heini. Du weißt doch, wie der immer an mir gehangen hat!« – »Na, wegen gehangen hat! Den hab ich kürzlich erst getroffen, euern Heini, der ist wohl auch bald seine sechzehn – siebzehn alt? Ihr Heislers Buben seid ja alle ganz schöne Kerle, aber wie sich der Heini rausgemacht hat. Dem haben sie einen Floh ins Ohr gesetzt, wegen SS später mal.«
     
    »Was, dem Heini?« – »Na, das weißt du doch besser als ich«, sagte Röder. Er hatte sich noch mal an den Küchentisch gesetzt. Wie er jetzt wieder Georgs Gesicht genau vor sich hatte, zuckte es ihm ganz dumm durch den Sinn, wie vorhin im Treppenhaus: ob denn das wirklich der Georg sei. Georgs Gesicht war im letzten Augenblick wieder ganz verändert. Röder hätte nicht sagen können, worin die Veränderung bestand, da das Gesicht doch ganz still war. Aber das war es gerade, die Veränderung einer Uhr, die plötzlich stillsteht. »Früher hat’s bei euch Krach gegeben, weil der Heini zu dir gehalten hat, jetzt –« – »Ist das auch wahr mit dem Heini?« sagte Georg. »Wieso weißt du das alles nicht?« sagte Röder. »Kommst du denn nicht von daheim?«
     
    Plötzlich begann dem kleinen Röder das Herz furchtbar zu klopfen. Er fing zu schimpfen an. »Das fehlt noch gerade. Du schwindelst mich an. Drei Jahre kommst du nicht, und dann kommst du und schwindelst mich an. So warst du immer – so bist du. Schwindelst deinen Paul an. Schämst du dich denn nicht. Was hast du ausgefressen? Etwas hast du doch ausgefressen, verkauf mich doch nicht für dumm. Also du kommst gar nicht von daheim. Wo warst du die ganze Zeit? Du scheinst ja schön in der Klemme zu sein. Durchgebrannt? Was ist eigentlich mit dir los?« – »Vielleicht hast du für mich ein paar Mark übrig?« sagte Georg. »Ich muß gleich hier fort, laß die Liesel nichts merken.« – »Was ist mit dir los?« – »Ihr habt kein Radio?« – »Nein …« – sagte Paul. »Bei meiner Liesel ihrer Stimme und dem Lärm, der sowieso bei uns ist –« – »Ich bin nämlich im Radio«, sagte Georg: »Ich bin geflohen.« Er sah geradezu in Röders Augen hinein. Plötzlich war Röder erbleicht, so erbleicht, daß die Sommersprossen in seinem Gesicht zu flimmern schienen. »Woher bist du geflohen, Schorsch?« – »Ich bin aus Westhofen ausgerückt, ich – ich …« – »Du aus Westhofen? Hast du die ganze Zeit dort gesteckt? Du bist wirklich eine Nummer! Aber sie werden dich totschlagen, wenn sie dich kriegen.« - »Ja«, sagte Georg. »Und da willst du jetzt weggehen ohne Bleibe? Du bist nicht bei Trost.« Georg sah noch immer in Röders Gesicht, das ihm der Himmel selbst schien, von Sternchen übersät. Er sagte ruhig: »Lieber, lieber Paul, das kann ich doch nicht – du mit deiner ganzen Familie. Ihr seid alle ganz vergnügt, und jetzt ich … Verstehst du denn überhaupt, was du sagst? Wenn sie jetzt hier heraufkommen? Sie waren vielleicht schon hinter mir.«
     
    Röder sagte: »Dann ist’s sowieso zu spät. Wenn sie kommen, müssen wir sagen, daß ich von nichts was gewußt hab. Die letzten paar Sätze haben wir zwei einfach nicht miteinander gesprochen. Verstehst du – wir haben sie gar nicht gesprochen. Ein alter Bekannter kann immer mal auftauchen. Wie soll ich wissen, wo du inzwischen herumkutschiert bist?« Georg sagte: »Wann haben wir uns das letztemal gesehen?« – »Du warst das letztemal oben im Dezember 32, am zweiten Weihnachtstag, du hast unsere ganzen Zimtsterne damals aufgegessen.« Georg sagte: »Sie werden dich fragen – fragen. Du weißt nicht, was sie für Mittel erfunden haben.« In seinen Augen stoben all die winzigen, spitzen Fünkchen, vor denen

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