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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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müsse danach bestraft werden.
     
    In allen Betriebsversammlungen hatte der Fiedler kleine, ruhige Fragen gestellt. Er hatte sich immer vergewissert, ob alles, was ihnen zustand, gewährt worden sei. Auch darin war er mit Brand völlig einig gewesen.
     
    Das Messingkapselchen auf dem Zeiger blinkte auf. Es ist gleich Mittag. Gleich kommt das Pausenzeichen.
     
    Ihm kam etwas in den Sinn, was keine Handlung gewesen war, kein Ausspruch – etwas so Flüchtiges, daß er nie mehr daran gedacht hatte. Im Frühjahr, als es geheißen hatte, wir hören gemeinsam die Führerrede nach der Schicht im großen Saal, da hatte einer gesagt: Mein Gott, ich muß zur Bahn. Der andere hatte gesagt: Na, geh, man merkt’s ja nicht. Ein dritter hatte gesagt: Es ist ja auch diesmal kein Zwang. Er, Paul, hatte damals selbst gesagt: Wenn’s kein Zwang ist, geh ich zur Liesel. Was der spricht, weiß man im voraus. – Auf einmal waren recht viele weggegangen, das heißt, sie hatten weggehen wollen, denn alle drei Tore waren geschlossen worden. Dann hatte jemand gewußt, daß es da noch ein Türchen gab bei der Pförtnerwohnung. Das Türchen war wirklich ein Puppentürchen, und sie waren eine Belegschaft von über zwölfhundert, und wie das so geht, sie wollten alle auf einmal durch das Türchen, sogar er, der Paul. Ihr seid ja verrückt, ihr Kinder, hatte der Pförtner gesagt. Im Gedränge hatte einer gesagt: Das ist wohl das Nadelöhr, durch das das Kamel eher geht als daß … Paul hatte sich umgedreht, da hatten die ruhigen Augen von Fiedler aufgeglänzt von irgendeinem Triumph in seinem ernsten, verhaltenen Gesicht.
     
    Das Sonnenfünkchen erlosch auf der Spitze der Kapsel. Die Sonne stand jetzt auf dem Mauerstück zwischen den Hoffenstern. Das Pausenzeichen ertönte.
     
    »Ich muß dich mal einen Augenblick sprechen.« Er hatte ihn im Hof abgepaßt. Fiedler dachte: Er hat also wirklich was auf dem Herzen. Was wohl so ‘nen Paul drückt?
     
    Paul zögerte. Fiedler erstaunte sich, weil der Röder aus nächster Nähe anders aussah, als er sich vorgestellt hatte, besonders seine Augen waren anders. Sie waren gar nicht pfiffig und kindlich, sondern kalt und streng. »Ich brauch deinen Rat«, fing der Paul an. – »Na, leg mal los!« sagte der Fiedler. Paul zögerte wieder, dann aber sagte er nacheinander und völlig ruhig und deutlich: »Es handelt sich um die Leute aus Westhofen, du weißt doch, Fiedler, um die Flüchtlinge. Es handelt sich um einen –«
     
    Er wurde so bleich bei seiner Eröffnung wie vor zwei Tagen, da Georg ihm dieselbe Eröffnung gemacht hatte. Auch Fiedler war fast beim ersten Wort bis in die Lippen erbleicht. Er schloß sogar die Augen. Wie rauschte der Hof! In welches Gebrause waren sie beide geraten!
     
    Fiedler sagte: »Wie kommst du gerade auf mich?« – »Das kann ich dir nicht erklären. Vertrauen.«
     
    Fiedler nahm sich zusammen. Er stellte Fragen zwischen den Zähnen, so hart und barsch, und Röder erwiderte ihm so hart und barsch, daß man meinen konnte, sie stritten sich. Auch ihre gerunzelten Stirnen, ihre bleichen Gesichter sahen nach Haß, nach Streit aus. Bis Fiedler dem Paul leicht auf die Schulter schlug und sagte: » Du setzt dich dreiviertel Stund nach der Schicht ins Finkenhöfchen und wartest dort. Ich muß mir alles erst überlegen. Ich kann dir jetzt noch gar nichts versprechen.«
     
    Das war die merkwürdigste Arbeitszeit, die sie je erlebt hatten – der zweite Teil der Schicht. Paul konnte sich hie und da nach dem Fiedler umdrehen. War er der Richtige? Er muß es jedenfalls werden.
     
    Wieso ist der auf mich verfallen, dachte Fiedler. War mir denn überhaupt noch was anzumerken? Ja, Fiedler – Fiedler, du hast so lang und so gut auf dich achtgegeben, daß man dir ja nichts anmerkt, bis auf einmal das nicht mehr da war, was man dir nicht anmerken sollte. Es war erloschen. Somit war wirklich keine Gefahr mehr, dir etwas anzumerken. Aber es muß doch etwas geblieben sein, sagte er zu sich selbst, trotz aller Vorsicht, ohne deine Absicht. Es ist geblieben, und der Röder hat’s gespürt.
     
    Hätt ich ihm sagen können: Röder, ich kann dir auch nicht helfen, du täuschst dich in mir. Ich hab ja gar keine Verbindung mehr zu irgendeiner Leitung, zu irgendwelchen Genossen. Die Verbindung zu meinen eigenen Leuten ging mir längst verloren, vielleicht war sie gar nicht so unauffindbar, vielleicht hält ich sie knüpfen können. Ich aber hab’s dabei belassen, sie ist mir

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