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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Beschreibung von dem Röder.
     
    Wenn dieser Röder noch bei Pokorny arbeitete, dort gab es einen guten Mann, der ihn aushorchen konnte, war ein älterer Mensch, fest und verschlossen, war der Verfolgung entgangen, weil er in den letzten zwei Jahren vor Hitler einen gewissen Abstand gehalten hatte und für verfeindet mit seinen alten Genossen galt. Montag könnte der sich an den Röder heranmachen. Hermann kannte den Mann von gestern und heute, ihm konnte man Geld und Papiere für Heisler anvertrauen, wenn es den Heisler wirklich noch lebend gab. Hermann fragte sich, während er selbst mit Haut und Haaren in dem Krach und Geflamm des gewöhnlichen Vormittags aufging, ob es richtig sei, soviel auf einen einzelnen Menschen zu setzen. Jener Mann, der den Röder aushorchen sollte, war bei Pokorny fast die einzig wirkliche Stütze. War das erlaubt, einen Menschen für den anderen aufs Spiel zu setzen? Unter welchen Bedingungen erlaubt? Hermann erwog alles noch einmal herüber und hinüber: Ja, es war erlaubt. Nicht nur erlaubt, sondern nötig.
     
     
     

7
     
    Um vier Uhr nachmittags war Zillichs Dienst zu Ende. Auch in gewöhnlichen Zeiten wußte er nicht viel mit seinem Urlaub anzufangen. Er machte sich nichts aus den Ausflügen seiner Kameraden in die umliegenden Städte, er machte sich nichts aus ihren Vergnügungen. In dieser Beziehung war er ein Bauer geblieben.
     
    Vor dem Lagereingang stand ein klappriger Wagen mit SA-Kameraden, die sich zu einer Rheinfahrt zusammengetan hatten. Sie riefen Zillich zu, einzusteigen. Sie wären sicher erstaunt gewesen, wenn er’s getan hätte, wahrscheinlich sogar bedrückt. An den Blicken, die ihm folgten, an dem Stocken ihres Urlaubsgelächters konnte man merken, daß es selbst zwischen ihnen und ihm noch einen Abstand gab.
     
    Zillich stampfte auf dem Feldweg nach Liebach zu über die mürbe, trockene Erde, die dem frischen Glanz seiner mächtigen Stiefel nichts anhaben konnte. Er überquerte den Weg, der die Landstraße mit dem Rhein verband. Vor der Essigfabrik stand auch heute ein Posten – der vorgeschobenste Posten von Westhofen. Er grüßte, Zillich grüßte zurück. Er ging ein paar Meter weiter hinter die Fabrik. Er sah sich den Abfluß an, durch den der Heisler wahrscheinlich gekrochen war. Er sah sich die Stelle an, wo er ausgekotzt hatte, laut Aussage Zimthütchens. Die Gestapo hatte den Fluchtweg bis zur Darre-Schule ziemlich genau rekonstruiert. Zillich war ihm schon ein paarmal nachgegangen. Aus der Essigfabrik kamen ein paar Dutzend Leute: die kleine Belegschaft ortsansässiger, bäuerlicher Saisonarbeiter. Sie waren allesamt bis aufs Mark verhört worden. Jetzt blieben sie hinter Zillich stehen und guckten zum hundertstenmal in das Abflußrohr. Sie sagten zum hundertstenmal: Unglaublich! Und da gehört was dazu! Und den haben sie immer noch nicht! Und doch – doch – alle! –  Ein Junge mit einem Kindergesicht in den hängenden Arbeitskleidern des Vaters fragte den Zillich geradezu: »Habt ihr den endlich?« – Zillich hob seinen Kopf und sah sich um. Da gingen alle rasch auseinander, still und blaß. Wer eben noch Schadenfreude in seinem Gesicht gehabt hatte, zog sie in sich hinein wie eine verbotene Flagge. Zu dem Jungen sagte man: »Weißt du denn nicht, wer das war? – Der Zillich!«
     
    Zillich ging über den Feldweg unter der kühlen Nachmittagssonne. Dieses Land sah genauso aus wie bei ihm daheim, da man das Wasser von hier aus nicht sah. Zillich war ein engerer Landsmann von Aldinger. Er war in einem der abgelegenen Dörfer hinter Wertheim aufgewachsen.
     
    Hier und dort sah man die weißen und blauen Kopftücher über den Acker gebückter Frauen. Was für ein Monat ist das jetzt, was kommt jetzt dran? Kartoffel, Rüben? In ihrem letzten Brief hatte ihn seine Frau gefragt, ob er denn immer noch nicht heimkäme, dann könnte man doch die Pacht kündigen. Man könnte das Geld anlegen, das man gespart hätte, da man als Familie von einem alten Kämpfer und kinderreich diese und jene Vergünstigung hatte, und man hätte den Hof jetzt endlich halb aus dem Dreck herausgebracht, denn die zwei ältesten Buben seien so stark wie ihr Vater, aber das sei kein Ersatz, denn wenn er auch käme, könnte man doch das Stück, das man hatte verpachten müssen, halb umpflügen, halb könnte man den Klee stehenlassen für die Kühe, die man jetzt kaufen wollte.
     
    Zillich setzte einen der Schaftstiefel auf die Stelle, auf der Georg das Zopfband gefunden

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