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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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hatte. Nach ein para Minuten kam er an jene Gabelung, wo die Großmutter abgebogen war, das »Schublädchen«. Er ging nicht zur Darre-Schule hinauf, sondern gleich hinunter nach Buchenau. Er hatte Durst. Zillich trank nicht regelmäßig, sondern in Abständen, anfallweise.
     
    Wie er jetzt über das stille Land ging unter dem graublauen Himmel, hie und dort blinkte ein Spaten, dicht am Wegrand hob sich bei seinen Schritten das Gesicht einer Bäuerin, die sich mit den Fäusten den Schweiß aus den Augen wischte, um ihm nachzusehen, drehte sich ihm sein Innerstes um bei dem Gedanken, daß er für immer nach Hause müßte. Wenn ihn Fahrenberg fallenließe oder wenn Fahrenberg selbst so furchtbar fallengelassen würde, daß er selbst niemand mehr halten könnte, wo sollte er – Zillich – dann auch sonst hin? Eine Erinnerung vor allem peinigte ihn! Wie er zurückgekommen war nach dem Krieg im November 18 auf seinen verwahrlosten Hof, Fliegen und Schimmel, soviel Urlaube, soviel Kinder, zu den zweien, die schon vorher da waren, und die Frau so trocken und hart wie altbackenes Brot. Und sie hatte ihn schüchtern gefragt, mit sanften Augen, ob er nicht die Dichtungen in die Fenster einnageln wollte, zuerst im Stall, da der Wind hineinblies. Sie hatte ihm das verrostete Handwerkszeug herausgebracht. Da war ihm der Gedanke gekommen, daß das diesmal kein Urlaub war, wo man in Gottes Namen daheim ein paar Nägel einschlug, um dann wieder zurückzufahren; wo es keine Dichtungen gab und keine Nägelchen, sondern daß das jetzt für immer daheim war, unrettbar, unentrinnbar. Gleich am Abend war er weg in die Wirtschaft, wirklich, es war ein ähnliches Dorfwirtshaus, wie das hier, das er hinter den Feldern am Eingang von Buchenau schimmern sah aus roten Ziegeln mit Efeu.
     
    Aber das Aas von Wirt hatte ihm damals traurigen Wein eingeschenkt; er hatte zuerst gebrütet, dann war er wild geworden: »Nu, da bin ich wieder daheim in dem Scheißladen, nu, da bin ich wieder! Und sie haben den Krieg kaputtgemacht, unseren sauberen, anständigen Krieg haben sie kaputtgemacht. Soll ich jetzt wieder mit den Kühen rumbumbeln? Ja, das paßt denen. Jetzt soll der Zillich den Schimmel wohl mit den Nägeln runterkratzen. Da guckt euch mal meine Hände an, guckt mal meinen Daumen. Das war ein Kehlchen, sag ich euch, so zart, so zart wie von ‘ner Nachtigall. >Zillich<, hat der Leutnant von Kuttwitz gesagt, >ohne dich war ich jetzt ein Engel<. Haben sie dem Leutnant Kuttwitz doch das EK von der Brust reißen wollen, dieses Gesindel im Bahnhof von Aachen. Mein Leutnant Fahrenberg, wie er abtransportiert wurde mit ‘nem Streifschuß und der Leutnant Kuttwitz hat ihn abgelöst, der hat mir noch von der Bahre die Hand gegeben.«
     
    »Es ist merkwürdig«, hatte da einer im Wirtshaus gesagt, der auch noch in Feldgrau war, aber schon ohne Achselstücke, »daß wir diesen Krieg überhaupt verloren haben, wo du doch mit dabei warst, Zillich.« Zillich hatte sich auf den Mann gestürzt und ihn beinah erwürgt. Damals hätten sie schon nach der Polizei gerufen, wäre nicht seine Frau gewesen. Auch in den kommenden Jahren duldeten sie ihn im Dorf wegen dem Jammer der Frau. Weil die Zillich vor ihren Augen sich totschaffte, kamen sie in der ersten Zeit und boten ihm dies und jenes an, mal umsonst die Benutzung der Dreschmaschine, mal ein Handwerkszeug. Aber Zillich erwiderte: »Lieber verrecken, als von diesem Gesindel was annehmen.« Die Frau sagte: »Warum Gesindel?« Zillich erwiderte: »Konnten alle nicht rasch genug heim, ihre Kartoffeln herausbuddeln.« – Trotz ihrer Lasten und Leiden mischte sich in die Furcht der Frau Zillich auch etwas Bewunderung. Aber der Hof verkam, die Krise traf schuldig und unschuldig. Zillich fluchte zusammen mit jenen, von denen er hatte keine Werkzeuge leihen wollen. Er mußte von seinem Hof weg, auf den winzigen Hof der Schwiegereltern. – Das war das furchtbarste Jahr gewesen, in der Enge zusammengepfercht. Wie die Kinder gezittert hatten, wenn er abends heimkam! Einmal war er zum Markt nach Wertheim, da rief es plötzlich: »Zillich!« Das war ein Kamerad aus dem Feld, der sagte: »Komm mit, Zillich, komm mit uns. Das ist das Rechte für dich, du bist ein Kamerad, du bist eine kämpferische Natur, du bist ein nationaler Mann, du bist gegen das Gesindel, du bist gegen das System, du bist gegen die Juden.« – »Ja, ja, ja«, hatte Zillich gesagt, »ich bin dagegen«. Von diesem Tag an hatte Zillich auf alles

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