Das siebte Kreuz
pfeifen können. Jetzt war’s aus mit dem öligen Frieden, für den Zillich war’s aus. Vor den bestürzten Augen des Dorfes wurde der Zillich Abend für Abend mit dem Motorrad abgeholt, manchmal
sogar mit ‘nem Hanomag. War nur bloß nicht eines Abends die Bande aus der Ziegelfabrik in das SA-Lokal eingekehrt! Ein Blick hatte ein Wort gegeben und ein Wort einen Stich.
Schlimmer war’s freilich auch nicht im Kittchen gewesen als daheim im stickigen Mausloch; eher sauberer und unterhaltsamer. Seine Frau schämte sich sehr und jammerte über die Schande, aber sie mußte die Augen auswischen und glotzen, als der SA-Sturm aufs Dorf gezogen kam, um seine Rückkehr zu feiern. Ansprachen! Heil! Gesüff! Wie gafften Wirt und Nachbarn!
Zwei Monate später bei dem großen SA-Aufmarsch erkannte er Fahrenberg, seinen alten Leutnant, auf der Tribüne. Er fragte sich abends zu ihm hin. »Erkennen mich Herr Leutnant noch?« – »Herrje, der Zillich! Und wir beide tragen das gleiche Hemd!«
Ich – ich soll noch mal mit den Kühen rumbumbeln, dachte Zillich. Bei dem bloßen Anblick der Dorfgasse, die ihn an seine eigene erinnerte, füllte sich sein Inneres mit dumpfer Angst. Genauso wacklig, dachte er, hängt auch daheim die Wirtshausklinke.
»Heil Hitler!« rief der Wirt übertrieben laut. Er sagte dann im gewöhnlichen Wirtston: »Im Garten gibt’s ein sonniges Plätzchen, vielleicht setzt sich der Herr Genösse in den Garten.«
Zillich warf einen kurzen Blick in den offenen Gartenausgang. Gesprenkeltes Herbstlicht fiel durch Kastanienbäume auf leere Tische, die schon für den Sonntag frisch gedeckt waren mit rot karierten Tüchern. Zillich wandte sich ab. Selbst dieser Anblick gemahnte ihn an die gewöhnlichen Sonntage, an sein vergangenes Leben, an den niederträchtigsten Frieden. Er blieb an der Theke stehen. Er verlangte einen Rauscher. Die paar Leute, die schon an der Theke gestanden hatten, um, wie Zillich, den diesjährigen Rauscher zu probieren, traten alle ein wenig zurück. Sie betrachteten Zillich mit gerunzelten Stirnen. Zillich merkte nichts von dem Schweigen um sich herum. Er war bald bei seinem dritten Glas. Das Blut rauschte ihm schon in den Ohren. Auch diesmal betrog ihn die Hoffnung auf Erleichterung. Im Gegenteil, jene dumpfe Angst, die ihn schon vorher bis zum Platzen angefüllt hatte, wuchs noch in seinem Inneren. Er hätte aufbrüllen mögen. Er kannte diese Angst von klein auf. Sie hatte ihn schon zu den furchtbarsten, scheinbar verwegensten Dingen angestiftet. Sie war die allergewöhnlichste Menschenangst, wie tierisch sie sich gebärden möchte. Sein angeborener Verstand, seine Riesenkräfte waren von klein auf eingezwängt, unberaten, unerlöst, unverwendbar.
Er hatte im Krieg das eine gefunden, was ihn erleichterte. Er wurde nicht wild beim Anblick des Blutes, wie man es Mördern nachsagt. Das wäre noch eine Art Rausch gewesen, noch heilbar, vielleicht durch andere Räusche. Der Anblick des Blutes beruhigte ihn. Er wurde so ruhig, als strömte sein eigenes Blut aus der tödlichen Wunde, wie ein eigener Aderlaß. Er sah hin, wurde ruhig und ging weg, und er schlief dann auch ruhig.
An einem Tisch in der Wirtsstube saßen ein paar Hitlerjungen; darunter Fritz und sein Führer Albert, derselbe Albert, dem Fritz noch vorige Woche in allen Stücken blind gehorcht hätte. Der Wirt war sein Onkel. Die Buben tranken süßen Most; sie hatten einen Teller Nüsse vor sich, die sie gegeneinander knackten und in den Most warfen, damit sie sich vollsaugten, und wenn das Glas leer war, süß schmeckten. Sie berieten eine Sonntagsfahrt. Jener Albert, tiefbraun verbrannter, flinker Junge mit pfiffigen Augen, verstand sich bereits darauf, unmerklich in der Aussprache, einen winzigen Abstand einzuhalten zwischen sich und den gleichaltrigen Ratgebern. Seit Zillichs Eintritt hatte sich Fritz weder an der Aussprache noch am Nüsseknacken beteiligt. Sein Blick blieb auf Zillichs Rücken gerichtet. Auch er kannte Zillich vom Sehen. Auch er hatte dies und jenes über ihn munkeln hören. Er hatte sich darüber nicht den Kopf zerbrochen.
Fritz war für diesen Morgen nach Westhofen bestellt worden, er war mit rasend klopfendem Herzen hingezogen, nach einer durchwachten Nacht. Da hatte es eine Überraschung gegeben. Er könnte ruhig wieder heim, war ihm Bescheid geworden, die Kommissare seien abgereist, die restlichen Vorladungen hätten sich erübrigt. Fritz war unendlich erleichtert
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