Das siebte Tor
Jahrhunderten das Sanktuarium betraten, haben sie gespürt.«
»Den Sartan auf Chelestra ist das gleiche
widerfahren«, warf Haplo ein.
»Ihnen und euch.« Zifnab nickte.
»Oh!« Ein Leuchten breitete sich über Alfreds
Gesicht und erlosch gleich wieder. »Aber ich habe nichts gesehen.«
»Natürlich nicht«, sagte Zifnab. »Du hast an der
falschen Stelle gesucht. Du hast immer an der falschen Stelle gesucht.«
»Ich sehe in einen Spiegel«, wiederholte Haplo
leise die letzten Worte seines Fürsten.
»Aha!« rief Zifnab. »Der Kandidat hat
neunundneunzig Punkte!« Er stieß Alfred mit dem knochigen Zeigefinger gegen
die Brust. »Sieh in einen Spiegel.«
»L-liebe Güte, nein!« Alfred wurde feuerrot.
»Ich doch nicht! Ich nicht! Ich bin nicht die höhere Macht!«
»Aber du bist es.« Zifnab schwenkte die Arme.
»Genau wie Haplo. Genau wie ich. Genau wie – laß mal sehen, auf Arianus haben
wir viertausendsechshundertsiebenunddreißig Bewohner allein in den
Mittelreichen. Ihre Namen, in alphabetischer Reihenfolge, sind Aaltje,
Aaltruide, Aaron…«
»Wir haben schon verstanden, Sir«, unterbrach
ihn der Drache streng.
Der alte Mann zählte an den Fingern ab:
»Aastami, Abbie…«
»Aber wir können unmöglich alle Götter
sein«, wandte Alfred ein. Er sah todunglücklich und verwirrt aus.
»Wüßte nicht, wieso das unmöglich sein sollte.«
Zifnab war eingeschnappt. »Hätte durchaus einen erzieherischen Wert, wir
würden lernen, zweimal nachzudenken. Aber wenn dir die Vorstellung nicht
gefällt, sieh dich als eine Träne im Ozean.«
»Die Welle«, sagte Haplo.
»Wir alle, Tropfen im Ozean, bilden die Welle.
Normalerweise halten wir alles hübsch im Gleichgewicht – das Wasser plätschert
an den Strand, die Hula-Mädels wiegen sich unter Palmen.« Zifnab schaute
träumerisch in eine weite Ferne. »Doch manchmal geht es drunter und drüber.
Tsunami. Seebeben. Aber die Welle strebt immer nach Ausgleich. Leider, leider«
– er seufzte – »schwappt die Flut dann oft in die entgegengesetzte Richtung.«
»Ich fürchte, ich habe immer noch nicht ganz verstanden«,
meinte Alfred verlegen.
»Kommt schon noch, alter Knabe.« Zifnab schlug
ihm auf den Rücken. »Dir ist bestimmt, ein Buch über das Thema zu verfassen.
Keiner wird den Schinken lesen, aber so geht’s nun mal zu im Literaturbetrieb.
Es ist der kreative Prozeß, der zählt. Zum Beispiel Emily Dickinson. Hat
jahrelang im stillen Kämmerlein für die Schublade geschrieben…«
»Vergebung, Sir«, unterbrach ihn der Drache
gnädigerweise. »Wir haben nicht die Zeit für einen Vortrag über Miss
Dickinson. Da wäre noch das Problem der bevorstehenden Schlacht.«
»Was? Ach ja.« Zifnab zerrte an seinem Bart.
»Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, was wir da machen können. Ramu ist ein
dickköpfiger, hartherziger, sturer alter…«
»Wenn ich das sagen darf, Sir«, fiel ihm der
Drache ins Wort, »Ihr wart derjenige, der ihm die falschen Informationen
zugespielt hat…«
»Und drum ist er hier!« triumphierte Zifnab.
»Glaubst du, er wäre sonst gekommen? Nie und nimmer. Er würde immer noch auf
Chelestra herumhängen und einen Haufen Ärger machen. Nun ist er hier und…«
»… macht einen Haufen Ärger«, schloß der Drache
mißmutig.
»Genaugenommen stimmt das nicht mehr ganz.«
Obmann Vasu, begleitet von Baltasar, erschien auf der Lichtung. »Wir bringen
gute Nachrichten. Es wird keine Schlacht geben. Ramu wurde gezwungen, von
seinem Amt als Archont zurückzutreten. Ich habe seinen Platz eingenommen.
Unsere Gefolgsleute« – Baltasar nickte Obmann Vasu zu, der lächelte – »sind
jetzt Verbündete. Gemeinsam sollte es uns gelingen, die Armeen des Bösen
zurückzuschlagen.«
»Das sind in der Tat gute Neuigkeiten. Auch wir
begrüßen diese Entwicklung«, bemerkte der Drache ernst. »Ihr wißt natürlich,
daß euer Sieg nicht endgültig sein wird. Das Böse ist ewig, wenn es auch durch
die Versöhnung eurer beiden Völker an Einfluß verliert.« Der Drache richtete
den Blick auf Alfred. »Die Welle strebt nach Ausgleich.«
»Ja, ich verstehe«, meinte Alfred nachdenklich.
»Und auch unsere Vettern, die Drachenschlangen,
bleiben eine ständige Bedrohung. Man kann sie niemals ganz besiegen, fürchte
ich, aber man kann sie daran hindern, überall ihr Unwesen zu treiben. Deshalb
ist es gut, daß die meisten von ihnen im Labyrinth gefangen sind.«
»Was wird aus den Nichtigen, nun, da das
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