Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
Tore der Finsternis. Es sprach leise,dennoch waren seine Worte überall zu hören. »Wer von euch ist derjenige, der den Kristall gefunden hat?« Der Stein gloste in den verkrampften Fingern wie ein riesiger Blutstropfen. »Bist du es? Oder du?« Der Blick glitt über die Gesichter der Seeleute, und jeder duckte sich ängstlich unter dem Ausdruck der Todeskälte. Für einen kurzen Moment schien es, als versuchte Tres’ Geist noch einmal die Oberhand zu gewinnen, seine Augen flackerten, dann erstarben sie wieder und spiegelten nur noch die Seelenschwärze des fremden Wesens.
Als sich der Blick Tenan zuwandte, verharrte er. Tenan spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Er versuchte seinen Kopf wegzudrehen, aber schon zwang ihn der andere unter die Kraft seines Willens. Das war nicht Tres, daran gab es keinen Zweifel mehr.
Tenan konnte keinen Muskel bewegen. Der tiefschwarze Blick sog ihn in ein Chaos wirbelnder Finsternis. Für einen kurzen Moment sah er graue, düstere Ebenen. Lichtlose Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit fraßen sich in seine Gedanken, seine Seele. Gleichzeitig nahm er wahr, dass ein kaum erkennbares, zart schimmerndes Leuchten ihn umhüllte. Es schützte ihn vor den Einflüssen dieser Sphäre, verhinderte, dass sich sein Bewusstsein vollkommen darin verlor. Gleich darauf verblasste die beklemmende Szenerie wieder, rückte in weite Ferne und löste sich schließlich auf. Blitzartig befand sich sein Geist wieder in seinem Körper auf dem Deck der Dakany. Er wagte kaum zu atmen.
Tres’ Gestalt ragte vor ihm auf. Das Wesen im Körper des Matrosen nickte ihm zu, langsam, prüfend. Fast war es ein wortloser Gruß. Dann entließ es ihn aus seinem Bann. Tenan wusste, dass er als Träger des Kristalls erkannt worden war.
»Ich werde nun mit mir nehmen, was mir ohnehin gehört«,sprach das Wesen. »Überall in Algarad gibt es Bereiche, in denen verbannte Geister und Dämonen leben, so wie hier, im Meer der Stille, tief unter der Oberfläche des Ozeans. Ihre Seelen spüren die Gegenwart dieses Kristalls, mit dessen Hilfe sie aus ihrem Gefängnis befreit werden können. Sie warten voller Sehnsucht darauf. Doch nur einer besitzt die Macht, dies zu tun. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich sie erlösen und mit dem Heer derjenigen vereinen, die in den Grauen Sphären auf ihre Stunde warten. Denn wisset, dass ich der Bash-Arak bin, der Herrscher des Schwarzen Feuers, der Herr der Schatten und der Meister der Kristalle von On.«
Als ob die Verdammten auf dem Grund des Meeres seine Rede vernommen hatten, grollte ein dumpfer Donnerschlag durch das Wasser, und das Meer schimmerte wieder bläulich. Die Männer wichen so weit wie möglich an die Reling zurück.
Auf einmal tauchte Harrid wie aus dem Nichts hinter Tres auf. Er packte die Hände des Matrosen und versuchte die Finger aufzubiegen, um sie von dem Kristall zu lösen. »Lass los, du Bastard«, knurrte der Kapitän, während er mit dem Wesen rang. Doch obwohl er große Kräfte besaß, war es ihm nicht möglich, den Griff zu lösen. Es war, als seien die Finger mit dem Stein verwachsen.
Plötzlich züngelten rote Blitze aus dem Kristall und versengten Harrids Hände. Er schrie schmerzerfüllt auf und ließ ihn los, während er zurücktaumelte und eine Tirade wüster Flüche von sich gab.
Tenan, der wie gelähmt zugeschaut hatte, erwachte aus seiner Erstarrung. Vielleicht konnte er die magische Kraft des Kristalls bannen, schließlich war der Stein bis jetzt keine Gefahr für ihn gewesen. Er sprang nach vorne und packte Tres’ Handgelenke. Wieder knisterten Blitze aus dem Stein und fuhrenin alle Richtungen. Sie hinterließen schwelende Brandspuren, als sie in die Planken und die Reling schlugen. Wie Tenan gehofft hatte, fügten sie ihm keine Verletzungen zu. Sie lösten sich auf, bevor sie ihn erreichten. Es gelang ihm, die Oberfläche des Kristalls zu berühren. Und tatsächlich: Kaum hatte er das geschafft, erlosch sein blutrotes Leuchten für einen kurzen Augenblick. Tres gab den Stein frei und wankte, als sei die Kraft des dunklen Wesens plötzlich von ihm gewichen. Tenan wurde von einer unsichtbaren Macht nach hinten geschleudert und krachte hart gegen einen der Masten. Der Kristall fiel auf die Planken, rutschte über das Deck.
Tenan rappelte sich benommen auf. Sein Kopf dröhnte, er sah nur verschwommen. Was für eine gewaltige Druckwelle das gewesen war! Er wischte sich über die Augen, um wieder einen klaren Blick zu bekommen.
»Der
Weitere Kostenlose Bücher