Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
nach vorn, streckte die Hand aus.
Doch Tres achtete nicht auf ihn, seine Augen waren gebannt vom Strahlen des Kristalls, den er in die Höhe hielt wie eine Kostbarkeit. Er begann flach und schnell zu atmen, seine Hände klammerten sich wie die eines Toten fest um den Stein, sein Leib fing an, unkontrolliert zu zucken. Draußen auf dem Meer verstärkte sich die Helligkeit des blauen Lichts.
Der Meledos schimmerte deutlich sichtbar, doch der Bash-Arak nahm ihn mehr im Inneren seines Geistes wahr als mit den Augen. In Sekundenschnelle war er an jenen Ort geeilt, an dem er das Leuchten des Kristalls, seine Energie und vertraute Schwingung klar und deutlich wahrgenommen hatte. Dort, auf dem Deck eines abgetakelten Frachters, in den Händen eines armseligen Sterblichen, befand sich der Stein der Enim und sandte das Vibrieren der Macht, das er so gut kannte, in alle Himmelsrichtungen aus.
Der Herr der Schatten verabscheute es im Grunde zutiefst, die Klarheit des eigenen Geistes gegen das trübe Halbgewahrseineines menschlichen Körpers einzutauschen, doch die Situation ließ ihm keine andere Wahl. Der Meledos war in greifbarer Nähe, er befand sich nicht mehr in der Schutzhülle des silbernen Beutels, der verhinderte, dass er Kontakt zu dem Stein herstellen konnte. Also begann er damit, seine Seele tief ins Bewusstsein jenes Mannes zu versenken, der ihn in den Händen hielt. Er wollte die absolute Kontrolle über sein Handeln gewinnen.
Der Geist des Menschen war nicht sehr ausgeprägt, doch er nahm Bösartigkeit und Hinterlist wahr. Kein ungefährlicher Gegner, wenn man ihn in der Menschenwelt zum Feind hatte. Der Bash-Arak spürte, wie er sich gegen sein Eindringen wehrte. Dieser Narr! Es machte alles nur noch qualvoller. Langsam und ruckartig drängte er die Seele des Matrosen beiseite und nahm endlich vollständig Besitz von seinem Körper. Der geschwächte Lebensfunke des anderen gab den Widerstand auf, und der Bash-Arak schob ihn gleichgültig hinein in die Grauen Sphären, in denen er selbst die letzten tausend Jahre ausgeharrt hatte. Gleichzeitig spürte der Herr der Schatten, wie ihm der Meledos Kraft und Stärke schenkte, sobald er den Stein mit den Händen des Sterblichen berührte.
Das schaurig-fahle, bläuliche Licht, das inzwischen vom Meer auf das Deck flutete, vermischte sich auf gespenstische Weise mit dem roten Glühen des Kristalls. Die Umstehenden sahen hilflos zu, wie Tres in den Bann einer Kraft geriet, aus deren Einfluss er sich nicht befreien konnte. Tenan hatte den Eindruck, etwas oder jemand versuchte, in den Körper des Matrosen einzudringen, während dessen Seele einen verzweifelten Kampf dagegen focht. Ein krächzendes Stöhnen drang aus Tres’ Kehle, das sich langsam zu einem wimmernden Schreisteigerte. Wie im Wahnsinn schüttelte sich sein Körper, zuckte wild in abgehackten, unkontrollierten Bewegungen. Ein Teil von ihm leistete noch Widerstand, vielleicht ein letzter Rest seiner Seele. Tres lehnte sich keuchend gegen den eisernen Willen der feindlichen Macht auf.
Plötzlich endete das Zittern. Ein letzter Ruck ging durch den Körper. Gleichzeitig war ein lautes Krachen und Knistern zu hören. Tief unterhalb des Kiels der Dakany entstand ein Blitz, der das Wasser erhellte. Dann war es schlagartig dunkel im Meer, und nur der Meledos leuchtete bedrohlich rot in Tres’ Händen.
»Der Stein steht in Verbindung mit dem Reich der Geister!«, rief der alte Fruke. »Die Tore in die Unterwelt stehen offen! Wehe uns, sie werden kommen, um uns zu holen!«
Doch niemand achtete auf ihn. Entsetzt starrten alle auf ihren Kameraden, während sie langsam zurückwichen.
»Bei Eta, seht ihr das Gleiche wie ich?«, raunte einer der Matrosen seinen Kameraden zu. Er stierte auf den Methumpen in seiner Hand. »Oder habe ich zu viel gesoffen?«
»Das hast du tatsächlich«, flüsterte ein anderer. »Aber der Schreck ist mir derartig in die Glieder gefahren, dass ich sicher wieder nüchtern bin. Das ist keine Einbildung.«
Tenan wurde schlagartig klar: Tres war nicht mehr er selbst. Wo auch immer sein Geist weilte, er war nun weiter entfernt als die Sterne am Nachthimmel. Eine finstere Wesenheit hatte von ihm Besitz ergriffen und steuerte seinen Willen, seinen Körper. Eine Aura von Dunkelheit umgab ihn. Das Wesen drehte seinen Körper langsam und ungelenk, als sei es die Bewegung nicht gewöhnt, und musterte die Umstehenden.
Die Augen hatten allen menschlichen Glanz verloren und schimmerten nun wie
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