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Das Siegel der Macht

Das Siegel der Macht

Titel: Das Siegel der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dettwiler
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Sehnsuchtslyrik aus der Zeit des römischen Kaisers Augustus.
    Der Missus spazierte zum Fenster und atmete den schwülen Duft der Frühlingsblumen ein. Lange schwieg er. Lucillas letzte Worte waren verklungen, als der Kerzenstummel noch viel größer war. Er wollte den Zauber nicht brechen, wie ein Segen schwebte er zwischen ihnen. Die junge Frau legte das Instrument zur Seite und setzte sich neben ihn.
    »Lucilla«, sagte er leise. »Selbst am Hof des Kaisers würde dein Lied gefeiert.«
    »Es ist Ovid.«
    »Die Worte ja, aber die Melodie?«
    Lucilla strahlte. »Vater hat mich lieber, als ich dachte. Er will ehrlich mein Glück. Einen Teil deines Silbers hat er für einen Lehrer ausgegeben. Der bringt mir das Latein der Bücher bei. Dabei sind wir auf Ovid gestoßen.«
    »Lernst du etwa lesen?«, fragte Alexius verdutzt.
    »Nein. Nur Latein korrekt aussprechen.«
    »Lucilla, du hast die Worte nicht nachgesprochen, du hast sie gefühlt, verstanden.«
    »Natürlich. Die Melodie musste dazu passen.«
    Alexius schmunzelte, schüttelte den Kopf. Seine Geliebte aus dem Volk, seine Schankwirtstochter eine Muse.
    »Die Musik hat man im Blut, sie ist nicht lernbar«, sagte Lucilla entschuldigend. »Ich habe schon immer meine eigenen Melodien gesungen.« Sie strich ihm mit den Fingern das dunkelbraune Haar zurück, folgte der Linie seiner leicht gebogenen Nase, den geschlossenen Lippen. »Töne sind Gefühle. Mein Lied ist entstanden, als du weit weg warst. Ich dachte für immer.«
    »Und jetzt, Lucilla?«
    »Ist das Glücksgefühl ebenso stark. Du musst fort, aber jetzt weiß ich, dass du zurückkehren wirst.«

15
    Die Erinnerung an das Feuer ihrer verschlungenen Körper war machtlos gegen die beißende Kälte. Alexius saß auf einem Saumtier, tief eingehüllt in seinen Pelzumhang. Die Kapuze geschlossen bis zu den Augen. Über seinen Beinen hielt ein Bärenfell den Nordwind ab. Die Vordermänner sah der Bote des Kaisers nur als Umrisse. Im Morgengrauen peitschte aufgeriebener Schnee gegen die Reisenden. Hart, schmerzhaft wie Kristallsplitter. Alexius drehte den Kopf und blickte zurück. Das Hospiz auf der Passhöhe war nicht mehr zu sehen. Nur noch blendender Schnee und ein Pfad, den sein bewährter Führer kaum erkennen konnte. Er vertraute dem Instinkt der Saumtiere.
    »Wir haben Glück«, sagte der wortkarge Bergler bei der nächsten Rast in einer Holzhütte. »Einen Tag vor uns ist eine andere Reisegruppe über den Pass geritten. Ich kann den Pfad trotz des frischen Schnees noch knapp erkennen.«
    »Wie lange haben wir noch bis ins Rhonetal?«, fragte Alexius.
    »Wir können nur beten. Zwei Tage, drei, vielleicht auch zehn, wenn wir in einer Hütte blockiert bleiben. Sollten wir im Notfall keine finden …«
    Alexius verzichtete auf genauere Erklärungen und machte wieder Bewegungsübungen. Zehn-, hundertmal öffnete und schloss er die Hände, schlug die Arme zusammen und die Beine gegen das Saumtier. Wärmer fühlte er sich nicht, aber wenigstens lebendig. Manchmal hielt er die Hände auch gegen die Ohren, um für einige Minuten das Gejammer Ricolfs nicht zu hören. Fast hatte der Diener am Vortag seine Hand verloren. Als sie die Hütte betraten, schienen die Finger starr, abgefroren. Ricolf saß die ganze Nacht beim Feuer, bis gegen Morgen Leben in die Nerven zurückkehrte. Und mit dem Leben der Schmerz. Jetzt trug der Gefolgsmann Pelzstücke um die Hände und führte kein Tier am Zügel. Jammernd litt er weiter.
    Alexius spürte plötzlich, wie er im Sattel rutschte. Er war in gefährlichen Halbschlaf versunken, der ganze Körper merkwürdig gefühllos. Erneut begann er mit den wärmenden Übungen und zwang sich zum Wachbleiben. Seine Gedanken waren wieder bei Lucilla, entspannten gefährlich. Alexius suchte andere Erinnerungen, dachte zurück an die kurze Rast in Pavia Mitte März …
    Als er in der norditalienischen Pfalz eintraf, hatte sein Schnellbote die Meldung von der Wahl des neuen Papstes bereits abgeliefert. Gregor verlor keine Zeit mit der Einberufung eines Konzils. Im Alleingang verdammte er Papst Johannes XVI. als Invasor und ließ die Sentenz von allen Bischöfen verkündigen.
    Der deutsche Papst war dankbar für die rasche Benachrichtigung und ehrte den Missus. Alexius bat um eine private Unterredung.
    »Ich habe in Rom Gerüchte gehört und möchte Euch, Heiliger Vater, ebenso einweihen wie Kaiser Otto.« Alexius kniete auf dem Boden, sein Blick suchte die graublauen Augen Papst Gregors. In diesen

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