Das Siegel der Macht
Ungebändigt floss die hellblonde Lockenflut über ihre Schultern. Das Oval des Gesichts schien weicher, der groß gewachsene Körper voller, blühender.
Alexius stutzte. »Elana, seid Ihr etwa freiwillig hier?«
»Ganz und gar nicht. Ich freue mich, dass Ihr endlich kommt.«
»Ihr habt mich erwartet?«
»Ich habe gehofft.« Elana war verlegen, dankbar, dass er wortlos ihren Arm nahm und sie hinaufführte.
»Wartet in der Halle! Auf die Rückkehr Eures Bräutigams müssen wir uns gut vorbereiten.« Alexius rief seinen Männern Befehle zu. Sofort bezogen die Gefolgsleute des kaiserlichen Missus ihre Stellungen.
Elana stand am Fenster und atmete die frische Luft ein, als Alexius in den Saal trat. Er wollte sie von der schmalen Öffnung wegziehen, hielt sich aber zurück, denn sie hatte die seidene Tunika ausgezogen, trug ein braunes Hemd und über dem Kopf das Tuch einer Bäuerin. Die wirren Locken gut versteckt.
»Drei Wochen dort unten im Loch«, flüsterte sie. »Ohne frische Luft halte ich es nicht länger aus.«
»Weshalb hat der Graf Euch unter dem Erdboden eingesperrt?«
»Weil ich geschrien habe wie am Spieß.«
»Ist er Euch …?«
»Ob er mich belästigt hat? Nein, Graf Reinhold würde die Sitten nie verletzen. Er hat mir täglich höflich seine Aufwartung gemacht, mir immer wieder versichert, im Dunkeln werde meine Haut noch weißer für die Hochzeitsnacht. Lächerlich! Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt.« Elana legte ihre Hand auf seinen Arm. Wärme, Vertrauen in den braunen Augen. »Zum Glück seid Ihr hier. Ich habe gewusst, dass Ihr die Situation begreifen würdet.«
»Es hätte ein anderer Missus kommen können.«
»Nein, Alexius. Erinnert Ihr Euch an meinen Brief, den Ihr für Kaiser Otto mitgenommen habt? Darin bat ich ihn, mir nie mehr durch einen anderen Boten als durch Euch Schreiben zu senden.« Elana wartete keine Antwort ab. Sie kniete sich in einer Nische der Halle vor das hölzerne Kreuz und betete. »Ich habe dem Herrn gelobt, als Dank für meine Rettung dem Kanonissenstift Gandersheim ein goldenes Kruzifix zu schenken«, sagte sie beim Aufstehen. »Jetzt habe ich mein Versprechen wiederholt. Wenn alles gut geht, werde ich das Kreuz bald in Essen bestellen.«
»Wie steht Ihr zu Graf Reinhold?« Als sie ihn belustigt musterte, fügte er hinzu: »Ich muss wissen, wie meine Männer sich verhalten sollen.«
»Er ist ein Usurpator, ein alter Feind meines Vaters. Durch gemeine Anschuldigungen beim Bischof hat er versucht, uns Ländereien wegzunehmen. Der verstorbene Kaiser persönlich hat meiner Familie das Gestohlene zurückgegeben und Reinhold das Grafenamt abgesprochen.«
»Dann ist er gar kein Graf?«
»Doch, er hat sich vorletztes Jahr dem jungen Herrscher unterworfen, ist wieder in sein Amt eingesetzt worden. Mit unserer Heirat möchte er gleich zweierlei erreichen. Meine Ländereien und Vergebung für seine Taten. Als seine Frau hätte ich niemals gegen ihn zeugen können.«
»Werdet Ihr ihm verzeihen?«
»Nie. Mit dem Schwert hat er mich gezwungen, dem Kaiser zu schreiben, mit dem Schwert hätte er mir den Heiratsvertrag aufgenötigt und mich zur Einsegnung der Ehe in die Kirche geschleppt.«
Alexius ging ruhelos auf und ab, trat häufig auf den Gang hinaus, um mit seinen Männern zu sprechen. Jeder Blick auf Elana schürte seine Zweifel. »Es tut mir Leid«, sagte er schließlich. »Euer blühendes Aussehen passt nicht zu Euren Worten.«
»Er hat mich gemästet, Alexius.« Wider Willen musste sie lachen. »Ihr wisst doch, dass ich sonst wenig esse. Reinhold hat mich alle drei Tage an die frische Luft gelassen. Aber nur wenn ich alles aß, was er auftragen ließ. Er wollte mich …« Elana zögerte, senkte den Blick. »Er wollte mich voller, üppiger.« Beim letzten Wort lachte sie klingend, übertönte fast den Pfiff, der leise von den Palisaden her kam.
Rasch griff Alexius zu seinem Schwert und rannte in den Hof. Das Tor war geöffnet. Der Wächter der Olseck verhielt sich ruhig, die scharfe Klinge im Rücken. Als der Graf mit seinem Gefolge im Hof war, schoben zwei Kaiserliche das Tor zu. Ein Pfeilregen traf die verdutzten Krieger. Einige fielen von den Pferden, die anderen griffen zu ihren Schwertern. Für jeden überlebenden Kämpfer der Olseck standen zwei Leute des Missus bereit. Graf Reinhold erkannte die Aussichtslosigkeit. Vorsichtig trat er rückwärts, stieß eine kleine Tür auf, um in der Öffnung zu verschwinden. Alexius lief mit
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