Das Siegel der Macht
im Dunkeln gefallen.«
Elana beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Als er fast neben ihr stand, machte sie einen Sprung vorwärts, in Gerolds Richtung. Der Wachmann war schneller. Eine Hand umspannte ihren Arm, die andere legte die Lanze zur Seite, ertastete ihre Hüften.
»Die Waffe tut mir weh«, stöhnte Elana, als er sie im Gang an die Wand drängte. Sein stinkender Atem betäubte sie fast.
»Was soll’s, dieses Schwert brauche ich im Moment nicht«, grinste er ihr ins Gesicht. Der Wächter löste die Waffe und ließ sie zu Boden fallen. Genussvoll schob er den Stoff ihrer Tunika nach oben, griff nach dem nackten Fleisch. Als sein Mund ihre Lippen suchte, wehrte Elana sich verzweifelt. Aber er hielt sie mit dem linken Arm fest umklammert. Mit einer fast zärtlichen Geste streifte er ihr das Tuch vom Kopf. Die blonde Haarflut fiel auf Elanas Schultern.
Verblüfft trat der Wächter einen Schritt nach hinten, um die Fronarbeiterin genauer anzusehen. Als der Stein auf seinen Kopf krachte, war er sofort tot.
Elana und ihr Diener verloren keine Zeit. Mit beiden Händen packte Gerold den leblosen Mann bei den Füßen, schleppte ihn in den Gang, der vom Turm in die Außenmauer führte. Elana zerriss das Hemd des Toten und wischte damit den Blutstrom auf, der sich über den Boden ergossen hatte.
Die erste Zelle im Mauergang stand offen. Gerold legte die Leiche auf eine Steinbank und schob die Tür zu. Draußen nahm er behutsam Elanas Arm.
Glücklicherweise gab es nur wenige Räume. Die meisten waren leer. Da, endlich. Ein schwerer Balken verriegelte die hinterste Tür. Gerold hob ihn hoch und legte ihn auf den Boden. Gespannt gingen sie in die dunkle Zelle.
Auf der Liege zeichnete sich der Umriss eines Mannes ab. Weil sein Gesicht nicht zu erkennen war, kehrte Gerold in den Gang zurück und nahm eine Fackel vom Wandhalter. Gespannt leuchtete er dem Gefangenen ins Gesicht.
Elana erschrak, als offene Augen ihr entgegenstarrten. Nase und Mund des Mannes waren mit einem Wolltuch bedeckt. Vorsichtig berührte die Sächsin mit den Fingern die blasse Stirn und das dunkle Haar. Die Haut des Gefangenen fühlte sich kalt an, er war tot. Elana hätte am liebsten losgeschrien. Tränen strömten ihr über die Wangen, sie konnte den Toten nur noch verschwommen sehen. Verzweifelt stellte sie ihren Weinkrug ab und wischte sich mit dem Rocksaum die Augen trocken. Dann nahm die junge Frau die Fackel aus Gerolds Hand, hielt sie neben den Kopf des Toten. Ihre Finger schoben das Wolltuch nach unten. Erleichtert sah Elana ein fremdes Gesicht. Tiefe Dankbarkeit durchströmte sie: Es war nicht Alexius.
»Im Turm selbst gibt es noch mehr Zellen«, flüsterte Gerold. »Vielleicht ist er dort.«
Sie stiegen bis zum Dach hinauf, fanden drei weitere Zellen, die alle leer standen.
Gerold schüttelte den Kopf. »Jetzt bleiben uns nur noch die Gefängnisse im Kastell.«
»Müssen wir die Rampe hinaufgehen?«, fragte Elana entsetzt. Wie weggeblasen war das Glücksgefühl, das sie eben noch verspürt hatte. Je länger wir hier suchen, desto größer wird das Risiko, dachte sie. Überall kann plötzlich ein Wächter auftauchen. Was passiert, wenn wir entdeckt werden? Und vielleicht lebt Alexius gar nicht mehr. Elana fühlte sich mutlos, aber plötzlich musste sie an die haselnussbraunen Augen des Kaiserboten denken. In der Erinnerung hörte sie den Klang seiner Stimme. Entschlossen gab sie sich einen Ruck, hob den Weinkrug auf und drängte ihren Diener die Treppe hinunter.
Gerold und Elana konnten ungesehen durch den Hof zum Eingang der Engelsburg gelangen. Er lag dem geschlossenen Hauptportal der äußeren Wehrmauer genau gegenüber. Glücklicherweise standen keine Wächter davor. Geräuschlos schlichen die Sachsen durch den Eingang in das monumentale Tonnengewölbe, das zur Rampe führte.
Im spiralförmigen Aufgang sahen die beiden mit Entsetzen, dass es keine Nischen oder Nebengänge gab, wo sie sich verstecken konnten. Im Notfall blieb ihnen nur die Flucht. Vorsichtig schoben sie sich weiter und machten alle paar Schritte Halt, um zu lauschen. Nach einigen Rundungen ertönte von oben plötzlich Hufgeklapper.
So schnell ihre Beine sie trugen, rannten Gerold und Elana die Rampe wieder hinunter. Vor der letzten Biegung spähte der Hüne durch den Eingang in den Hof. Die kleine Pforte neben dem Hauptportal der äußeren Wehrmauer stand offen, zwei Krieger passierten sie und kamen geradewegs auf das Kastell zu.
Wir sitzen in der Falle,
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