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Das Siegel der Macht

Das Siegel der Macht

Titel: Das Siegel der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dettwiler
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stellte Berechnungen an. Mit der Feder entwarf er Wurfmaschinen nach antikem Beispiel. Vor allem die mobilen Türme machten ihm Sorgen. Er musste sie so leicht konstruieren, dass sie problemlos vom Bauplatz an die Mauer um die Engelsburg verschoben werden konnten. Aber stabil genug, um eine große Anzahl Krieger zu tragen.
    »Wir müssen ein Modell bauen«, riss Gerbert den am Fenster stehenden Alexius aus seinen Gedanken. »Es ändert nichts, wenn du zum Kastell starrst. Hilf mir lieber, nimm die Holzstücklein und den Stift dort.«
    »Ist es nicht besser, wenn ich sofort die Konstruktionspläne zum Bauplatz bringe?«
    »Nein, Alexius. Es lohnt sich, zu warten. Wenn ich die Türme zu leicht baue, drohen sie bei jeder Gewichtsverlagerung umzufallen. Sie sollten unten breiter sein und Bretterwände müssen sie abdecken wie Schutzschilde. Sonst werden die hochsteigenden Soldaten nicht weit kommen.«
    Lucilla beobachtete durch den Fensterspalt ihres Gefängnisses, wie die Wurfmaschinen zusammengesetzt, die Belagerungstürme höher und höher wurden. Klein wie Schachfiguren sahen die Soldaten, Techniker und Vornehmen aus. Die Gefangene konnte ihre Gesichter nicht erkennen.
    Als Lucilla ein Geräusch hörte, drehte sie sich um. Im Gang wurde der Balken vor ihrer Tür entfernt. Wie jeden Mittag trat eine alte Frau in den Raum. Sie zog Brotstücke und getrocknete Früchte unter ihrer Schürze hervor. Lucilla griff zu, verschluckte sich fast.
    »Weshalb tust du das?«, fragte sie leise. »Wir kennen uns nicht.«
    »Ich war Crescentius’ Amme. Er ist mir ans Herz gewachsen wie ein Sohn. Wirst du für sein Seelenheil beten, wenn alles vorbei ist?«
    »Papst und Kaiser werden ihn begnadigen.«
    »Er wird sterben und vielleicht vorher aus der Kirche ausgestoßen. Niemand außer mir wird für ihn beten. Schwör, dass auch du ihn in alle deine Gebete einschließen willst!«
    Lucilla kniete nieder, hielt ihr Amulett mit der Reliquie des Märtyrers Adalbert in die Höhe. »Ich schwöre es. Wenn ich lebendig hier herauskomme, werde ich für Crescentius Nomentanus beten mein Leben lang.«
    »Dann iss, solange es noch etwas gibt. Die Vorräte sind bald zu Ende. Nur für sechs Wochen haben sie gereicht.«
    »Gibt es keine … geheime Zufuhr?«
    »Nein, das ist der Sinn der Engelsburg. Sie soll ihre Insassen ganz von der Außenwelt abschließen. Im Guten wie im Bösen.«
    »Wie lange können wir noch durchhalten?«
    »Vielleicht eine Woche, zehn Tage … Aber die kaiserlichen Maschinen sind fast fertig. Bald wird man angreifen. Crescentius rechnet jeden Moment damit, auch nachts.«
    »Was ist mit den anderen Geiseln?«
    »Frag nicht, Mädchen. Das Brot reicht nicht für unnütze Gefangene.«
    »Sind sie alle tot?«
    Die Alte nickte.
    »Weshalb bin ich am Leben?«
    »Das verdankst du dem Befehlshaber, der dich in der sächsischen Schule entdeckt hat. Er werde zurückkehren, hat er mir gesagt, er müsse nur noch weitere Gefangene in die Burg holen. Ich solle mich um dich kümmern.«
    »Wo ist er?«, flüsterte Lucilla. Beim Gedanken an den fettleibigen Soldaten wurde ihr fast übel.
    »Immer noch in der Stadt.«
    »Warum habt Ihr mich nicht … verraten?«
    »Weil ich mich inzwischen an dich gewöhnt habe, dummes Mädchen. Und weil du für Crescentius beten wirst.«
    Die alte Frau huschte aus dem Raum und stemmte den Balken vor die Tür. Plötzlich hörte sie Schritte und lief aus dem Gang. Zu spät. Eine Männerhand umschloss ihren Arm, zog sie ins Fackellicht. Vor ihr stand Oktavian, der Sohn des Grafen Benedikt von Sabina, ein naher Verwandter der Crescentier.
    »Ich habe dich beobachtet.« Oktavians dunkle Augen funkelten wütend. »Du stiehlst Essen aus der Küche. Für wen?«
    »Auf Befehl des Crescentius.« Die Dienerin duckte sich, befreite ihren Arm. Als Oktavian hinter ihr herrannte, war sie in der Rampe verschwunden.
    Die Episode ließ dem jungen Mann keine Ruhe. Spät in der Nacht ging er zurück zum Ausgangspunkt, wo er die Alte gesehen hatte. Er tastete sich in den schlecht beleuchteten Korridor der neu gebauten Zimmerflucht vor, in dem nur eine Tür verbarrikadiert war. Vorsichtig hob er den Balken hoch und stellte ihn auf den Boden. Es war kein Geräusch zu hören. Mit der linken Hand öffnete er langsam die Tür, in der rechten hielt er das Schwert bereit.
    Oktavian traute seinen Augen nicht. Im schwachen Lichtschein der Öllampe sah er eine junge Frau auf dem Bett. In tiefen Schlaf versunken. Das schwarze Haar

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