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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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imponiert mir jedesmal wieder wie bei unserer ersten Begegnung. Fu ist nicht das einzige bemerkenswerte Exemplar ihrer Familie. Sie hat eine blinde Schwester, die fünfmal verheiratet war, elf Kinder geboren hat und im Fernsehen interviewt wurde, weil sie mit dreiundsechzig Jahren gerade Nummer zwölf zur Welt gebracht hatte, einen großen, drallen Jungen, der in dem Bericht an der etwas welken Brust der Mutter zu sehen war. Der letzte Ehemann ist zweiundzwanzig Jahre jünger als sie, weshalb die wagemutige Dame medizinische Hilfe in Anspruch nahm, um in einem Alter schwanger zu werden, in dem andere für die Urenkel stricken. Auf die Frage der Reporter, warum sie das getan hatte, sagte sie: »Damit mein Mann nicht allein ist, wenn ichsterbe.« Mir schien das sehr nobel, jedenfalls will ich, wenn ich sterbe, lieber, daß es Willie hundeelend geht und er mich vermißt.

Der sexbesessene Zwerg
    Es muß um diese Zeit gewesen sein, als wir nach San Francisco zu einer Cocktailparty eingeladen wurden, zu der ich nur mitging, weil Willie mich darum bat. Eine Cocktailparty ist für jedermann eine schwere Prüfung, Paula, für jemanden meiner Statur jedoch eine ungleich schwerere, zumindest in einem Land der großen Menschen; in Thailand mag es anders sein. Es empfiehlt sich, solche Veranstaltungen zu meiden, weil die Gäste stehen, dicht an dicht, ohne Luft, mit ihrem Glas in der einen und irgendeinem unmöglich zu identifizierenden Hors d’œuvre in der anderen Hand. Mit hohen Schuhen reiche ich den Frauen bis zum Brustbein, den Männern bis zum Bauchnabel; die Kellner tragen die Tabletts über meinen Kopf hinweg. Einsfünfzig groß zu sein birgt keinerlei Vorteil, außer, daß man schneller unten ist, wenn man etwa hat fallen lassen, und daß ich mir in Minirockzeiten Kleider aus vier Krawatten deines Vaters nähen konnte. Während Willie also in einem Kreis langbeiniger Frauen, die an seinen Lippen hingen, am Buffet stand, Langustenschwänze verzehrte und Geschichten aus seiner Jugend zum besten gab, als er um die Welt reiste und auf Friedhöfen schlief, verkrümelte ich mich in eine Ecke, damit niemand auf mich trat. Ich kann bei solchen Gelegenheiten nichts essen, weil ich eigene wie fremde Flecken anziehe. Ein überaus freundlicher Gentleman kam in meine Nähe, erspähte meinen Umriß auf dem Teppichmuster und bot mir von seiner angelsächsischen Anhöhe herab ein Glas Wein an.
    »Hi, ich bin David, sehr erfreut.«
    »Isabel, die Freude ist ganz meinerseits«, und ich starrte gebannt auf das Glas; Rotweinflecken gehen aus weißer Seide nie mehr raus.
    »Was machen Sie so?« versuchte mein Gegenüber die Unterhaltung in Gang zu bringen.
    Der möglichen Antworten auf diese Frage sind viele. Ich hätte sagen können, daß ich hier stand, stumm wie ein Fisch, und meinen Mann verfluchte, weil er mich hergeschleppt hatte, entschied mich jedoch für etwas weniger Philosophisches:
    »Ich schreibe Romane.«
    »Ach! Wie aufregend! Wenn ich im Ruhestand bin, schreibe ich auch einen Roman.«
    »Sagen Sie bloß! Und was tun Sie jetzt?«
    »Ich bin Zahnarzt«, und er reichte mir seine Karte.
    »Wenn ich im Ruhestand bin, ziehe ich auch Zähne«, gab ich zurück.
    Alle Welt denkt offenbar, Romane zu schreiben sei wie Geranien umtopfen. Zehn Stunden am Tag verbringe ich festgenagelt am Schreibtisch, drehe und wende die Sätze tausend und einmal, um etwas auf die wirkungsvollste Weise zu erzählen. Ich durchleide die Handlung, schlüpfe in die Haut meiner Helden, recherchiere, studiere, korrigiere, sehe Druckfahnen durch, beantworte Übersetzerfragen und reise außerdem durch die Welt, um wie ein fliegender Händler meine Bücher anzupreisen.
    Als wir auf dem Nachhauseweg über die großartige, vom hellen Mond beleuchtete Golden Gate Bridge fuhren, erzählte ich Willie unter Hyänengelächter, was dieser Zahnarzt zu mir gesagt hatte; nur fand mein Mann das gar nicht komisch.
    »Ich habe nicht vor, bis zur Rente zu warten. Meinen Roman fange ich bald an«, verkündete er.
    »Grundgütiger! Manche Leute sind an Dreistigkeit kaum zu überbieten! Und darf man erfahren, wovon dein Romänchen handeln wird?«
    »Von einem Zwerg, der nichts als Sex im Kopf hat.«
    Ich dachte schon, mein Mann hätte endlich denchilenischen Humor für sich entdeckt, aber er meinte es ernst. Einige Monate später begann er, von Hand auf gelbes liniertes Papier zu schreiben. Er lief mit dem Block unter dem Arm herum und zeigte das Geschriebene jedem, der es sehen

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