Das Siegel der Tage
Film. Ernesto und Giulia waren aus New Jersey gekommen, Großmutter Hilda und meine Eltern aus Chile. Jason kam nicht, weil er arbeiten mußte. Er war nach wie vor allein, auch wenn es ihm nicht an Frauen für eine Nacht mangelte. Er sagte, er suche nach jemandem, der so vertrauenswürdig sei wie Willie.
Wir lernten Loris Freunde kennen, die aus allen Himmelsrichtungen angereist waren. Mit den Jahren sind etliche von ihnen trotz des Altersunterschieds auch sehr gute Freunde von Willie und mir geworden. Als wir nachher die Fotos vom Fest bekamen, fiel mir auf, daß sie alle wie Mannequins aus Modezeitschriften aussahen; nie zuvor habe ich so viele schöne Menschen zusammen gesehen. Die meisten von ihnen waren Künstler mit Talent und ohne Allüren: Designer, Graphiker, Karikaturisten, Fotografen, Filmemacher. Willie und ich hatten uns vom Fleck weg mit Loris Eltern angefreundet, für die ich keine Ausgeburt des Teufels war wie für Celias Verwandtschaft, auch wenn ich bei meinem Toast auf unsere Kinder so taktlos war, auf die körperliche Liebe zwischen ihnen anzuspielen. Nico hat mir das bis heute nicht verziehen. Die Barras sind einfache und herzliche Menschen, haben italienische Wurzeln und wohnen seit über fünfzig Jahren in einem kleinen Häuschen in Brooklyn, wo ihre vier Kinder aufgewachsen sind, einen Block von den früheren Residenzen der Mafiabosse entfernt, die an ihren Marmorspringbrunnen, griechischen Säulen und Engelsstatuen zwischen den anderen Gebäuden des Viertels leicht zu erkennen sind. Loris Mutter, Lucille, verliert nach und nach ihr Augenlicht, nimmt das aber nicht zu tragisch, was weniger mit Stolz als damit zu tun hat, daß sie niemandem zur Last fallen will. In ihren eigenen vier Wänden findet sie sich problemlos zurecht, und in ihrer Küche macht ihr keiner etwas vor: Fast blind kocht sie noch immer nach den Rezepten, die von Generation zuGeneration weitergegeben wurden. Ihr Mann Tom, ein Bilderbuchgroßvater, umarmte mich mit aufrichtiger Zuneigung.
»Ich habe gebetet, daß Lori und Nico heiraten«, gestand er mir.
»Damit sie nicht länger in Sünde leben?« nahm ich ihn auf den Arm, wohlwissend, daß er gläubiger Katholik ist.
»Auch, aber vor allem wegen der Kinder«, antwortete er todernst.
Inzwischen war er im Ruhestand, aber früher hatte Tom eine Apotheke im Viertel betrieben. Das hatte ihn gegen Anstrengung und Überraschungen abgehärtet, denn er war mehr als einmal überfallen worden. Obwohl er nicht mehr jung ist, schippt er im Winter weiter Schnee und steigt im Sommer auf eine Klappleiter, um die Decken zu streichen. Er hat sich unerschrocken mit etlichen reichlich sonderbaren Bewohnern angelegt, die im Laufe der Jahre eine kleine Wohnung im ersten Stock seines Hauses bewohnten, darunter mit einem Gewichtheber, der ihn mit einem Hammer bedrohte, mit einem Wahnsinnigen, bei dem sich bis zur Decke alte Zeitungen stapelten, zwischen denen ein Trampelpfad von der Wohnungstür zum Klo und von dort zum Bett führte. Und dann gab es noch einen, der platzte – ich weiß nicht, wie ich das sonst nennen soll – und die Wände beschmiert mit Exkrementen, Blut und Organen hinterließ, was Tom saubermachen mußte. Was geschehen war, blieb unbegreiflich, denn es fanden sich keine Reste von Sprengstoff, es muß wohl eine Art Selbstzerstörungsphänomen gewesen sein. Trotz dieser und anderer makabrer Erfahrungen ist Lucilles und Toms Vertrauen in die Menschheit ungebrochen.
Sabrina, die schon fünf war, tanzte die ganze Nacht in den Armen unterschiedlicher Leute, während ihre vegetarischen Mütter die Gunst der Stunde nutzten und heimlich an Schweinerippchen und Lammkarrees nagten. Alejandro, in Anzug und Totengräberkrawatte, hatte dem Brautpaardie Ringe gebracht, zwischen den Brautjungfern Andrea und Nicole in bernsteinfarbenen Prinzessinnenkleidchen, ein hübscher Kontrast zu dem langen, maulbeerfarbenen Kleid der Braut, die strahlend schön war. Nico war überglücklich und erinnerte in seinem schwarzen Anzug und dem Maohemd und mit den im Nacken zusammengebundenen Haaren mehr denn je an einen florentinischen Edelmann aus dem Cinquecento. Es war ein Schluß, wie ich ihn nie in einem meiner Romane werde verwenden können: Sie heirateten und lebten froh und glücklich. Das sagte ich zu Willie, während er Swing tanzte und ich ihm zu folgen versuchte. Der Mann führt, wie diese skandinavische Schnepfe schon sagte.
»Wenn mich jetzt der Schlag trifft, soll es mir recht sein, meine
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