Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
wieder ein. In einer Ecke rascheln die Binsen. Vielleicht eine Maus? Dann, endlich hört Juliana Schritte auf der Treppe. Sie kennt das Knarren jeder Stufe. Auf dem Absatz, den nur die Frauen des Hauses und der Ritter von Ehrenberg überschreiten dürfen, halten sie inne.
»Verehrte Sabrina, macht Euch keine Gedanken, ich werde alles zum Rechten versehen«, sagt der Pater mit schwerer Zunge. »Ihr könnt Euch voll Vertrauen in meine Hände legen – nein, ich meine, es, also alles, in der Burg und so und auch die Gäste.« Er bricht ab und rülpst.
»Das ist mir eine große Erleichterung«, erwidert die Edelfrau mit ihrer weichen Stimme, in der Juliana jedoch Zweifel mitschwingen hört.
»Soll ich Euch nicht doch lieber zu Eurer Kammer begleiten, Pater? Mir schien es so, als bereite Euch die Treppe Unbehagen.«
»Aber nein!«, entrüstet sich der geistliche Vetter. »Ihr wollt doch nicht etwa behaupten, ich sei betrunken?«
»Nein, ich dachte an Eure Gicht«, wehrt Sabrina von Gemmingen höflich ab, obwohl sie sicher genau das gemeint hat.
»Ich kümmere mich um die Gäste! Das bin ich dir schuldig«, lallt der Pater und macht sich, den polternden Schritten auf den Stufen nach zu urteilen, wieder auf den Weg in die Halle zurück. Ein metallisches Scheppern wird von einem Schmerzensruf gefolgt. Juliana hört die Mutter seufzen. Kurz darauf wird die Tür einen Spalt geöffnet und wieder geschlossen. Das Mädchen ahnt die leichten Schritte, die sich zur Kemenate hin entfernen. Kurz entschlossen wirft sie die Decke von sich und läuft hinterher. Die Binsen bohren sich in ihre nackten Füße. An der Tür zögert sie einen Moment und lauscht noch einmal den Schlafgeräuschen der Kinderfrau. Ein Lächeln huscht über Julianas Lippen. Seit das Gehör der alten Dienerin nachlässt, kann sie nicht einmal mehr ein Gewittersturm über der Burg aufwecken.
»Mutter? Darf ich Euch stören?« Es fällt dem Mädchen schwer, die Gefühle, die in ihr toben, zu zügeln, aber sie weiß, wie streng die sonst so sanfte Edelfrau in diesen Dingen ist.
Sabrina von Gemmingen sitzt zusammengesunken in einem Scherenstuhl. Ihr Gebende liegt zu ihren Füßen, das lange Haar hat sich aus seinem Netz gelöst. Es ist noch genauso blond wie das der Tochter. Hastig wischt sich die Mutter mit dem Handrücken über das Gesicht.
»Es ist spät, und ich habe dich schon vor langer Zeit in dein Bett geschickt. Du weißt, dass ich das nicht schätze. Der Tag ist lang genug, um zu reden, wir brauchen dazu nicht auch noch die Nacht.«
Juliana weiß, dass sie sich nun entschuldigen und sich in ihre Kammer zurückziehen sollte, aber der Aufruhr in ihrer Seele ist zu mächtig, um bis zum Morgen zu warten. Sie tritt ein, schließt die Tür und durchquert die Kemenate. Vor dem Scherenstuhl bleibt sie stehen, bückt sich und hebt Gebende und Schleiertuch auf. Umständlich zupft sie einen Halm ab, der sich in der Stickerei verfangen hat, und legt den feinen Kopfschmuck auf eine Truhe. Juliana kann sich nicht erinnern, dass die Mutter jemals ein Kleidungsstück einfach zu Boden hat fallen lassen.
»Ich wollte nur sichergehen, dass ich Eure Worte vorhin in der Halle missverstanden habe«, sagt sie, während ihre Hände das Seidentuch falten. »Ihr würdet doch einer Werbung des Kochendorfers nicht zustimmen!« Zaghaft hebt sie den Blick.
»Warum nicht? Die Familie ist annehmbar.«
»Sie haben Burg Lehen verloren!«, widerspricht Juliana.
Die Edelfrau nickt. »Ja, das stimmt. Sie mussten ihre Familienburg aufgeben, doch die Burgvogtei Guttenberg ist nicht schlecht – und sie ist nah.«
»Vater will diese Verbindung nicht!«, wendet das Mädchen ein. Ihre Stimme wird lauter. Die Erregung ist deutlich zu hören. »Er hat mit dem Weinsberger gesprochen, das wisst Ihr genau! Vater möchte, dass ich Carl von Weinsberg heirate.«
Die Mutter holt tief Luft und lässt den Atem in einem Stoß entweichen. »Der Vater ist fort«, sagt sie mit gezwungen ruhiger Stimme. »Alles wird sich ändern. Vielleicht können wir uns glücklich schätzen, wenn wir überhaupt noch einen akzeptablen Ritter finden, der deine Hand will. Ist der Weinsberger etwa gekommen, um uns zu sagen, dass er weiter zu uns hält?«
»Nein«, schnaubt das Mädchen. »Aber er hat auch nicht gesagt, dass er es nicht tun wird. Vielleicht kommt er in den nächsten Tagen nach Ehrenberg. Bitte, warum soll ich überhaupt so schnell heiraten? Können wir dem Vater nicht die Chance geben, seine
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