Das Sigma-Protokoll
Wien gehen können. Bis von denen jedoch über das österreichische Justizministerium Kontakt zur örtlichen Polizei hergestellt worden wäre, konnte Benjamin Hartman schon längst in einer anderen Stadt sein.
Stattdessen war sie zum Flughafen Zürich-Kloten gefahren, hatte sich einen Platz für den nächsten Austrian-Airlines-Flug nach Wien besorgt und sich dann ans Telefon gehängt.
Als Erstes rief sie eine Kontaktperson in der Bundespolizeidirektion Wien an. Der Mann hieß Dr. Fritz Weber und war Chef des Sicherheitsbüros, der für Gewaltverbrechen zuständigen Abteilung der Wiener Polizei. Das war zwar nicht die Abteilung, die sie brauchte, aber sie wusste, dass Weber ihr helfen würde.
Anna und Weber hatten vor einigen Jahren bei einem Fall in Wien zusammengearbeitet. Ein Kulturattache der amerikanischen Botschaft war in die Geschäfte eines Sexrings verstrickt gewesen, der minderjährige Mädchen ins Land schmuggelte.
Weber war ein freundlicher und gewandter Mann, der ihre Hilfe und Diskretion damals sehr zu schätzen gewusst hatte. Sie war
ihm dabei behilflich gewesen, ein Problem zu beseitigen, das sich für beide Länder zu einer peinlichen Affäre hätte auswachsen können. Aus Dankbarkeit hatte er sie hinterher groß ausgeführt. Er war hocherfreut über Annas Anruf und versprach, sofort einen Mann auf den Fall anzusetzen.
Danach rief sie den FBI-Mann in Wien an. Sie kannte Tom Murphy zwar nicht persönlich, doch hatte sie nur Positives über ihn gehört. Sie gab Murphy einen stellenweise frisierten Abriss über die Gründe ihres Wien-Trips. Er fragte, ob er schon mal Verbindung zur Wiener Polizei aufnehmen solle, was sie jedoch verneinte, da sie ihren eigenen Kontaktmann habe. Murphy, der ihr als äußerst gewissenhafter Beamter beschrieben worden war, schien darüber gar nicht glücklich zu sein, erhob aber keine Einwände.
Nach der Landung in Wien-Schwechat rief sie Fritz Weber ein zweites Mal an und bekam von ihm Namen und Telefonnummer des Beamten, der den Fall bearbeitete.
»Wir haben uns das Hotel angeschaut, in dem Hartman mit seiner Kreditkarte bezahlt hat«, erklärte ihr Inspektor Walter Heisler am Telefon. »Er hat dort ein Zimmer.«
Der Mann arbeitete schnell. Das klang viel versprechend. »Sehr gute Arbeit«, sagte sie. »Wissen Sie schon, ob er sich einen Mietwagen genommen hat?«
Das Kompliment schien den Inspektor aufzubauen. Angesichts der Tatsache, dass das Objekt der Ermittlung Amerikaner war und dass eine Beamtin der amerikanischen Regierung deshalb extra nach Wien gekommen war, konnte er sich ausrechnen, dass ihm der lästige Papierkrieg und die juristischen Haarspaltereien, die die Festnahme eines ausländischen Staatsbürgers sonst mit sich brachte, erspart blieben.
»Wir sind sogar schon an ihm dran«, sagte Heisler hörbar stolz.
»Sie machen Witze. Wie haben Sie das so schnell geschafft?«
»Na ja, als wir wussten, dass er in dem bewussten Hotel wohnt, haben wir zwei Leute an dem Zeitungskiosk gegenüber postiert. Und die haben gesehen, wie er in einen gemieteten Opel Vectra gestiegen ist und sind ihm dann bis nach Hietzing gefolgt. Das ist ein Stadtteil von Wien.«
»Und was macht er jetzt dort?«
»Er besucht jemanden. Wen, wissen wir noch nicht. Aber wir sind dabei, es festzustellen.«
»Fantastische Arbeit«, sagte Anna. Und sie meinte es auch so.
»Vielen Dank«, entgegnete er vergnügt. »Soll ich Sie vom Flughafen abholen?«
Die ersten Minuten Smalltalk waren ziemlich anstrengend, da er seine Rolle nur unzureichend durchdacht hatte. Der fiktive Robert Simon besaß eine Firma in Los Angeles, die sich erfolgreich um die Geldanlage ihrer vermögenden Kunden kümmerte - Filmstars, reiche Immobilienmakler, Silicon-Valley-Milliardäre etc. Ben hatte sich ausgerechnet, dass das Risiko eines peinlichen Fauxpas dann am geringsten sei, wenn er sich so weit wie möglich an die Wahrheit anlehnte. Seine Kunden legten Wert auf äußerste Diskretion, stellte er mit Bedauern fest, ließ dann aber doch den einen oder anderen Namen fallen, vom dem er sich sicher war, dass sie ihn nie gehört hatten.
Und währenddessen stellte er sich immer wieder die gleiche Frage: Wer ist dieser Mann, der einzige Erbe von Gerhard Lenz, dem berüchtigten KZ-Arzt und Mitbegründer der Sigma AG?
Während sie an ihren Armagnacs nippten und plauderten, begutachtete Ben unauffällig das Wohnzimmer. Es war gemütlich mit englischen und französischen Antiquitäten eingerichtet. An den
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