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Das Sigma-Protokoll

Das Sigma-Protokoll

Titel: Das Sigma-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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wenig roch es nach Rauch.
    Es war kalt, sodass Liesl als Erstes den Holzofen einschürte. Ben zog seinen Mantel aus.
    »Du bist verletzt«, sagte Liesl. »Hat man auf dich geschossen?«
    Ben schaute auf seine linke Schulter. Das Hemd war steif von getrocknetem Blut. Merkwürdig, aber die Verletzung hatte nicht geschmerzt. Der Stress und die Erschöpfung mussten ihn gegen den Schmerz unempfindlich gemacht haben. Er hatte ihn während der langen Fahrt durch die Berge einfach verdrängt.
    »Wahrscheinlich ein Streifschuss. Sieht schlimmer aus, als es ist«, sagte Ben.
    »Das kann man nie wissen«, sagte sie. »Zieh das Hemd aus.« Sie war unwillkürlich in den Tonfall der Ärztin verfallen.
    Ben knöpfte sein gepunktetes Oxfordhemd auf. Die Fasern klebten oben auf der linken Schulter fest. Als er an dem Stoff zupfte, spürte er einen leichten Stich.
    Liesl tauchte einen Schwamm in warmes Wasser und betupfte die Stelle. Dann zog sie vorsichtig den Stoff von der verletzten Schulter. »Du hast Riesenglück gehabt. Es ist wirklich nur ein Kratzer. Wie ist das passiert?«
    Während sich Liesl weiter um die Verletzung kümmerte, erzählte Ben, was in den letzten Stunden passiert war.
    »Es ist Dreck drin. Das muss sorgfältig sauber gemacht werden,
sonst könnte sich die Wunde entzünden.« Sie bugsierte ihn zum Waschbecken, wo er sich auf einen Hocker setzte, dann goss sie aus einem Kessel etwas heißes Wasser in eine Porzellanschüssel. Sie verschwand für ein paar Minuten und kam mit Verbandszeug und einer gelben Plastikflasche Antiseptikum wieder zurück.
    Ben zuckte mehrmals zusammen, während Liesl vorsichtig die Stelle säuberte und dann mit einem Baumwolltupfer das bräunliche Antiseptikum aufpinselte. »Das Säubern schmerzt mehr als der Streifschuss selbst«, sagte Ben.
    Liesl klebte vier Leukoplaststreifen über eine sterile Mullkompresse. »So viel Glück hat man nur einmal«, sagte sie trocken.
    »Ich brauche kein Glück«, sagte Ben. »Informationen brauche ich. Ich muss dahinter kommen, was hier gespielt wird. Ich muss an Sigma rankommen. Umgekehrt hat das leider besser geklappt.«
    »Glaub mir, du brauchst beides - Glück und Informationen.« Sie gab ihm ein Hemd. Eins von Peters dicken Baumwollhemden.
    Plötzlich drängte die Realität, die er hatte verdrängen wollen, wieder nach oben. Panik, Trauer, Verzweiflung - alles auf einmal kam jetzt hoch.
    »Komm, ich helf dir«, sagte Liesl und schob ihm behutsam den Arm in den Ärmel.
    Er musste sich zusammenreißen. Unbedingt. Schon ihretwegen. Wie sehr sie litt, konnte er nur erahnen. Nachdem sie ihm das Hemd übergestreift hatte, schaute sie ihn stumm an. »Ihr seid euch so ähnlich. Peter hat nie davon gesprochen. Vielleicht hat er gar nicht gewusst, wie sehr ihr euch ähnelt.«
    »Zwillinge erkennen sich nie im andern.«
    »Es ist mehr als das. Und ich habe auch nicht das Äußere gemeint. Manche Leute waren sicher der Meinung, dass Peter kein Ziel hatte. Ich kannte ihn besser. Er war wie ein Segel, das schlaff herunterhängt. Aber wenn der Wind hineinfährt, bläst es sich zu voller Größe auf.« Sie schüttelte den Kopf, als schämte sie sich über ihre holperigen Erklärungsversuche. »Ich meine damit, dass Peter seine Kraft für größere Ziele aufsparte.«

    »Ich weiß, was du gemeint hast. Das ist genau das, was ich am meisten an ihm bewundert habe. Wie er sich sein eigenes Leben geschaffen hat.«
    »Er hatte eine Leidenschaft«, sagte Liesl mit traurig glänzenden Augen. »Die Leidenschaft, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Das hat sein Leben bestimmt.«
    »Nicht gerade das, was in der Welt der Vermögensverwalter eine große Rolle spielt«, murmelte Ben bitter.
    »Eine Welt, die einem die Luft nimmt«, sagte Liesl. »Peter hat immer gesagt: >Ben erstickt auf Raten.< Hatte er Recht damit?«
    »Auf jeden Fall gibt’s schnellere Arten zu sterben«, erwiderte Ben. »So viel weiß ich inzwischen.«
    »Erzähl mir von der Schule, an der du unterrichtet hast. Das war in New York, oder? Ich bin ein paar Mal dort gewesen, als Teenager. Und später noch mal auf einem Ärztekongress.«
    »New York stimmt. Aber nicht das New York, das die Touristen zu sehen bekommen. Das war East New York - fünf der übelsten Quadratmeilen in der ganzen Stadt. Autoklempner, Bars, Schnapsläden. Kleine Kabuffs, wo du deine Schecks einlösen kannst. Das fünfundsiebzigste Revier. Bei den Polizisten, die es unglücklicherweise dorthin verschlagen hat, nur Seven-Five genannt.

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