Das silberne Dreieck
der äußersten Linie der Gesetzesparagraphen. Er war ein Mann in den Dreißigerjahren, hochgewachsen, mit offenen, ziemlich hübschen Gesichtszügen. Die Frauen fanden ihn bezaubernd und mußten das häufig teuer genug bezahlen; er verkehrte in guter Gesellschaft und wurde sogar Aufsichtsratsmitglied eines großen Konzerns im West End.
Eine törichte, ganz unbedeutende Angelegenheit war die Veranlassung zu Manfreds erstem Zusammentreffen mit Garry. Manfred begegnete spät in der Nacht auf dem Nachhauseweg einem Mann, der wütend auf eine Frau einsprach. In der Annahme, daß es sich um eine jener Zankereien handelte, denen ein weiser Mann lieber aus dem Weg geht, schlenderte Manfred weiter, als er hinter sich das Geräusch eines Schlages und einen erstickten Schrei hörte. Er wandte sich um und sah, daß die Frau halb am Boden lag; ihre Hände klammerten sich am Gitter des Vorgartens eines der Häuser fest. Manfred lief schnell zurück.
»Haben Sie die Frau geschlagen?«
»Was geht Sie das an? Kümmern Sie sich um Ihre eigenen ...«
Manfred packte ihn und warf ihn ohne ein weiteres Wort über das Gitter. Als er sich umblickte, war die Frau verschwunden.
»Ich hätte ihn töten können«, sagte Manfred reuevoll. Leon Gonsalez lachte. Ein bereuender Manfred war zuviel für ihn.
»Du hättest - hast es aber nicht! Na - und dann?«
»Als ich sah, daß er sich langsam aufrappelte und allem Anschein nach nichts gebrochen hatte, riß ich aus«, gestand Manfred. »Ich muß mich wirklich mehr zusammennehmen, darf mich nicht so gehen lassen. Vielleicht liegt's an meinem Alter, daß mein Gefühl mir durchgeht.«
Wenn Poiccart mit der untersten Verbrecherwelt auf das genaueste bekannt war, konnte Manfred als lebendes Lexikon der ›Gentlemen-Hochstapler‹ gelten, aber merkwürdigerweise war ihm Mr. Lexfield nicht bekannt. Leon stellte Nachforschungen an und berichtete.
»Lexfield ist aus Indien und Australien ausgewiesen worden. In Neuseeland wird man nur dann gegen ihn vorgehen, wenn er versuchen sollte, wieder dorthin zu kommen. Seine Spezialität ist Bigamie, und er sucht sich dabei nur solche Familien aus, die zu hoch stehen, um sich einem öffentlichen Skandal auszusetzen. Unsere ›Gentlemen-Freunde‹ kennen ihn nur vom Hörensagen. Er ist verheiratet, und seine Frau spürte ihn in London auf; wahrscheinlich war sie die Dame, die, ohne es zu wollen, unserem Freund Garry zu der Luftreise über das Gitter verhalf.«
Mr. Garry Lexfield hatte von dem Augenblick an Glück gehabt, als er möglichst unauffällig und unter falschem Namen in Sydney an Bord der Morovia ging. Er besaß Charme und Anziehungskraft - Eigenschaften, die für einen vollendeten Hochstapler von unschätzbarem Wert sind. Jedenfalls hatten sie ihm geholfen, den größeren Teil von dreitausend Pfund aus den Taschen zweier reicher Australier herauszuholen - und hatten ihn in sehr enge Verbindung mit der Tochter eines dritten gebracht, der nicht weniger wohlhabend schien.
Als er in England an Land ging, war er - die Vorsehung schien es gut zu meinen - glücklich verlobt. Aber am Tage der Ankunft wurde seine zukünftige Frau krank - ein sehr prosaischer Fall von Blinddarmreizung. Bevor sie aber das Krankenhaus verlassen konnte, hatte Lexfield schon erfahren, daß der millionenschwere Farmbesitzer aus Australien nichts weniger als Millionär war und sich in großen finanziellen Schwierigkeiten befand.
Aber das Glück blieb ihm treu. Ein Besuch in Monte Carlo verschaffte ihm ein anderes kleines Vermögen, das aber nicht an den Spieltischen gewonnen war. Hier traf er mit Elsa Monarty zusammen, die gerade aus der Klosterschule kam und seinen Verführungskünsten ein leichtes Opfer war. Ihre Schwester und einzige Verwandte hatte Elsa, die merkwürdigerweise auch leidend war, zur Erholung nach San Remo geschickt. Auf einem Ausflug nach Monte Carlo traf sie im Vestibül des Kasinos mit dem gutaussehenden Mr. Lexfield zusammen - unnötig zu erwähnen, daß dies nicht sein richtiger Name war. Sie wollte eine Einlaßkarte für die Spielsäle haben - und Garry war höchst zuvorkommend. Das junge Mädchen erzählte ihm von ihrer Schwester, die Direktrice und Teilhaberin einer der großen Modefirmen in der Rue de la Paix war. Vertrauen gegen Vertrauen! - Garry sprach von seinen reichen und vornehmen Verwandten und unterhielt das junge Mädchen mit aufregenden Kriegserlebnissen, die alle aus der Luft gegriffen waren.
Er kehrte allein nach London zurück und sah
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