Das silberne Schiff - [Roman]
Natürlich könnten sie es jederzeit tun. Doch bislang deutete alles darauf hin, dass wir nichts zu befürchten hatten. »Gut. Aber wir wollen noch einmal Artistos überfliegen, um einen Lagebericht abgeben zu können.«
»Nein. Ich will, dass ihr beiden euch aus dem Kampf heraushaltet.«
Wie auf ein Stichwort hin stöhnte Kayleen, schloss die Augen und hielt sich wieder den Bauch. Es ging schnell vorbei, und als sie die Augen öffnete, griff sie nach Liams Schulter, um mit der anderen sein Gesicht zu sich herunterzuziehen. »Dann halte auch du dich raus. Bleibst du bei mir?«
Er starrte sie für einen Moment an und wirkte wie ein Tier, das man in die Enge getrieben hatte. Dann entspannte er sich und legte eine Hand auf ihren Bauch. »Ja. Natürlich.«
An diesem Morgen hatte ich mir auf dem sonnenbeschienenen Felsen gewünscht, dass alle überlebten. Wir sechs Modis waren noch am Leben. Es wäre besser, wenn es so bleiben würde.
Ich beugte mich über ihre Schulter und flüsterte: »Bring uns nach Hause.«
TEIL 8
Meine Schwester, mein Bruder
Kapitel 48
Jherrel
Irgendwann hatte ich aufgehört, meine Wehen als etwas zu betrachten, das zu mir gehörte. Sie waren zu einer brutalen Macht geworden, die sich vorgenommen hatte, mir mein Kind aus dem Leib zu reißen. Kayleen und Paloma hielten mein Gewicht und zwangen mich, zwischen ihnen beiden zu gehen. Schweiß strömte mir über die Stirn, nässte meine Brust und tropfte vom fremdartigen Sims, in den sich mein Bauch verwandelt hatte. Er brannte mir in den Augen, so dass ich Liam kaum erkennen konnte, der Caro, Kayleens Mädchen, unser Mädchen, an seiner Schulter wiegte. Er klopfte ihr auf den Rücken, während sie leise brabbelte.
Die Höhle der Macht war Artistos viel zu nahe, als dass wir uns darin nach der letzten schrecklichen Schlacht sicher fühlen konnten. Aber die Brennende Leere war hier, und die Invasoren hatten uns bislang in Ruhe gelassen. Also war Caro hier auf die Welt gekommen, einen Tag nach den schlimmsten Kämpfen. Wir lebten in der Höhle, suchten darin Schutz und wagten uns nur gelegentlich in den Herbst hinaus, um zu jagen und zu sammeln, damit wir auf den kommenden Winter vorbereitet waren. Es gab nur noch halb so viele Mäuler zu stopfen, und über die Hälfte war weiterhin in kleinen Gruppen unterwegs.
Die meiste Zeit ließen die Söldner sie in Frieden, aber nun forderte Fremont seinen Tribut von den Gruppen, die sehr klein waren und aus verhältnismäßig vielen Stadtbewohnern bestanden. Zehn Menschen – drei davon Kinder – fielen dem größten Rudel Dämonenhunde zum Opfer, das jemals gesichtet worden war. Zwei wurden innerhalb von zwei Wochen von Gelbschlangen getötet. Fünf starben bei zwei verschiedenen Jagdunfällen; zwei davon waren Stadtbewohner, die zusammen losgerannt und in einen Abgrund gestürzt waren.
Doch es waren immer noch sehr viele Leute, die sich außerhalb unseres Raumes drängten und voller Hoffnung warteten. Sie sangen ein Geburtslied, das eher aus Lauten denn aus Worten bestand, in ständiger Wiederholung, und das uns einschloss, als die Töne durch die halboffene Tür in unser Schlafquartier drangen. Das Lied gab unseren Schritten den Rhythmus vor, als wir zu dritt auf und ab liefen. Liam wippte Caro im gleichen Takt. Schließlich kam eine so heftige Wehe, dass ich stehen bleiben musste. Schmerzen jagten durch meine Wirbelsäule.
Sie ging vorbei.
Ich schnappte nach Luft. Paloma reichte mir ein zusammengerolltes Tuch, das sie mit Kräutersud getränkt hatte. Dann nahm sie Liam das Baby ab, ließ es in unsere Richtung blicken, wiegte es und gurrte ihm ins Ohr.
Liam stellte sich hinter mich und schob die Arme unter meine Achselhöhlen, um mein Gewicht zu tragen.
Kayleen ging zwischen meinen Beinen in die Knie.
Eine weitere Schmerzwelle. Ich biss in das Tuch, schmeckte Rotbeere und Minze, und mein Schrei wurde vom Stoff aufgenommen. Ich kniff die Augenlider zusammen, während ich das Lied und Palomas Stimme hörte. »Pressen!«
Alles schmerzte.
»Ich sehe den Kopf«, rief Kayleen.
Der Schmerz ließ nach, und meine Lungen verlangten nach Luft. Ich gab Kayleen das Tuch und hechelte. Ich zählte und wartete.
Eins. Atmen. Hecheln.
Zwei. Atmen. Hecheln.
Drei. Atmen. Hecheln.
Kayleen befeuchtete ihre Finger und hielt sie mir an die Lippen. Ich leckte sie ab.
Die nächste Wehe begann, und ich öffnete den Mund. Kayleen gab mir das Tuch zurück, und ich biss hinein, als der Schmerz mich aus meinem
Weitere Kostenlose Bücher