Das silberne Schiff - [Roman]
beobachtete das mutmaßliche Leittier, ein großes goldenes Tier, das zwischen der Baumlücke ans andere Ufer trat, den Kopf erhoben, die Nüstern gebläht. Der Körper war schlank, das Fell kürzer als das eines Gebras, und die Füße vogelähnlicher, nur dass sie breiter und stämmiger waren. Zumindest sah ich statt gespaltener Hufe drei dicke Zehen an jedem Fuß. Zwischen den Zehen und dem Kniegelenk ragten scharfe Krallen seitlich aus den Vorderbeinen hervor.
Ich atmete langsam aus und war völlig von diesem Tier fasziniert. Es war wunderschön, majestätisch. Allein seine Größe verlangte Respekt. Mein Kopf reichte ihm wahrscheinlich nicht einmal bis zur Brust. Ich schluckte, hielt wieder den Atem an und bemühte mich, mit dem Hintergrund zu verschmelzen.
Drei weitere Tiere, ein braunes, das schwarze und das rotbraune, drängten sich auf dem Pfad und beobachteten abwartend das goldene Leittier. Es ließ den Blick schweifen, und für einen kurzen Moment wurde ich von den dunklen Augen erfasst. Neugier blitzte darin auf, dann Furcht.
Ich wäre vor Schreck fast in Ohnmacht gefallen, als das goldene Tier einen hellen Schrei ausstieß. Sofort machte die Herde kehrt und rannte davon, gefolgt vom Leittier. Sie wippten auf und ab, was recht unbeholfen wirkte, aber sie waren wirklich so schnell, wie ihre Größe vermuten ließ. Bald hatte ich sie aus den Augen verloren, als die Bäume mir die Sicht versperrten.
Diese Tiere waren schöner als alles andere, was ich auf Jini gesehen hatte, und ich brauchte eine ganze Weile, um meinen Blick von der Stelle loszureißen, wo sie sich zuletzt aufgehalten hatten.
Das Flussufer war schlammig und von vielen Spuren durchzogen. Die großen Tiere hatten mich so sehr in den Bann geschlagen, dass es mir gar nicht aufgefallen war. Liam hätte die Spuren bestimmt schon viel früher bemerkt.
Ich bückte mich und sah sie mir genauer an. Kleine Fußabdrücke von Vögeln und Vierbeinern. Ich kroch am Fluss entlang nach Süden zurück, wo ich auf die Bäume gestoßen war. An einer Stelle waren auf einem halbmeterbreiten Pfad größere Fährten mit vier Zehen und einem Ballen zu erkennen. Hunde- oder katzenartig? Ich legte eine Hand auf den Boden und bestätigte, was meine Augen mir bereits gesagt hatten. Die Fährten waren fast so groß wie meine Handfläche. Automatisch wich meine Hand zurück und zog die kleine Laserwaffe aus meiner Tasche. Sie war das Einzige, womit ich mich wehren konnte, aber gegen etwas Großes würde sie nur wenig ausrichten.
Die großen Fußabdrücke führten zum Fluss hinunter und endeten dort. War es also etwas, das schwimmen konnte? Die Tatzenkatzen auf Jini konnten nicht schwimmen, obwohl sie Flüsse und Bäche an Furten durchquerten, wo sie nicht den Boden unter den Füßen verloren.
Ich blickte wieder zur Sonne hinauf und wünschte mir, Liam wäre hier und könnte gemeinsam mit mir suchen. Ich könnte einfach zurückgehen und sie holen. Aber wir mussten uns bald auf den Rückweg machen. Ich lief den Fluss noch ein Stück weiter hinauf und achtete sorgfältig darauf, wohin ich trat, um nicht über Wurzeln oder Steine zu stolpern. Ich erreichte die Stelle, wo meine eigenen Spuren begannen, und ging weiter, immer schwerer atmend.
Nicht weit von mir entfernt klatschte etwas ins Wasser.
Ich wandte mich zur Quelle des Geräusches um. Wellenkreise breiteten sich auf der Wasserfläche aus. Ich beobachtete eine Weile, aber nichts rührte sich.
»Chelo!« Kayleens Schrei zerriss die Luft. Er kam von links hinter mir. Ich drehte mich um und rannte in diese Richtung. Kurz darauf war ich wieder im Freien. Ich blieb stehen und blickte mich um. In welche Schwierigkeiten waren sie geraten? Mein Atem und mein Herzschlag dröhnten in meinen Ohren. Ich konnte sie nicht sehen. Dann Liams fordernde Stimme: »Rechts von dir!«
Ich drehte den Kopf nach rechts. Wie hatte ich sie übersehen können? Eine Katze. Aber keine Tatzenkatze, denn sie war länger und zugleich kleiner. Sie kauerte in zehn Metern Entfernung und sah mich an. Zweifellos war sie ein schneller Jäger, aber in dem Moment, als ich sie angesehen hatte, war sie erstarrt. Wie das Leitgebra hatte sie goldenes Fell mit schwarzen Füßen und Ohren und einer schwarzen zuckenden Schwanzspitze. Vor und zurück. Vor und zurück.
Sie schien sich nicht sicher zu sein, was sie von mir halten sollte, aber wenn sie den Entschluss dazu fasste, könnte sie mich ohne Zweifel überwältigen. Weder Krallen noch Zähne waren
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