Das Silmarillion
zu einer noch im Dunkel verborgenen Zeit von Turgon sein Verderben kommen werde.
Daher wurde nun Húrin Morgoth vorgeführt, denn Morgoth wusste, dass er mit dem König von Gondolin Freund war; doch Húrin begegnete ihm mit Verachtung und Spott. Da verfluchte Morgoth Húrin und Morwen und ihre Nachkommen und legte einen Spruch von Leid und Dunkel auf sie; und Húrin aus dem Gefängnis herausführend, setzte er ihn auf einen steinernen Stuhl auf einem hohen Gipfel von Thangorodrim. Dort wurde er mit Morgoths Kraft festgebunden, und Morgoth stand neben ihm und verfluchte ihn abermals. Und er sagte: »Hier magst du sitzen und hinaussehen auf die Lande, wo Unheil und Verzweiflung über jene kommen, welche du liebest. Gewagt hast du, meiner zu spotten und Widerrede zu führen gegen Melkor, den Meister aller Geschicke von Arda. So sieh denn mit meinen Augen und höre mit meinen Ohren; und nimmer sollst du von hinnen gehen, ehe nicht alles erfüllt ist, bis zum bittern Ende.«
Und genauso geschah es; doch wird nicht berichtet, dass Húrin von Morgoth je Gnade oder Tod erbeten hätte, weder für sich noch für einen seines Geschlechts.
Auf Morgoths Geheiß suchten die Orks unter großen Mühen die Leichen aller zusammen, die in der großen Schlacht gefallen waren, sowie alle ihre Rüstungen und Waffen; und sie warfen alles auf einen großen Haufen inmitten von Anfauglith, und er war wie ein Berg, und man konnte ihn von weither sehen. Haudh-en-Ndengin nannten ihn die Elben, den Hügel der Erschlagenen, und Haudh-en-Nirnaeth, den Hügel der Tränen. Doch auf diesem Hügel wuchs wieder Gras, hoch und grün, das einzige Gras in dieser ganzen Wüste, die Morgoth geschaffen hatte; und keine von Morgoths Kreaturen betrat hinfort mehr die Erde, unter welcher die Schwerter der Eldar und der Edain zu Rost zerfielen.
KAPITEL XXI
VON TÚRIN TURAMBAR
R ían, Belegunds Tochter, war die Gattin von Huor, Galdors Sohn; und sie wurde mit ihm vermählt, zwei Monate, bevor er mit seinem Bruder Húrin in die Schlacht der Nirnaeth Arnoediad zog. Als keine Nachricht kam von ihrem Gatten, floh sie in die Wildnis; dort halfen ihr die Grauelben von Mithrim, und als ihr Sohn Tuor geboren wurde, pflegten sie ihn. Dann schied Rían aus Hithlum, ging zum Haudh-en-Ndengin und legte sich darauf nieder und starb.
Morwen, Baragunds Tochter, war die Gattin Húrins, des Herrn von Dor-lómin; und ihr Sohn war Túrin, der im gleichen Jahr geboren wurde, als Beren Erchamion im Walde von Neldoreth Lúthien begegnete. Sie hatten auch eine Tochter mit Namen Lalaith, was Lachen bedeutet, und sie wurde geliebt von Túrin, ihrem Bruder; doch als sie drei Jahre alt war, trug ein verfluchter Wind von Angband eine Seuche nach Hithlum, und sie starb.
Nach der Nirnaeth Arnoediad weilte Morwen noch in Dor-lómin, denn Túrin war erst acht Jahre alt, und sie trug von neuem ein Kind. Es waren schlimme Tage, denn die Ostlinge, die nach Hithlum kamen, taten denen, die von Hadors Volk noch da waren, Schimpf an, unterjochten sie,nahmen ihnen Land und Gut und versklavten ihre Kinder. Doch so groß war die Schönheit und Würde der Dame von Dor-lómin, dass die Ostlinge eingeschüchtert wurden und nicht wagten, Hand an sie oder die Ihren zu legen; und sie tuschelten, dass sie gefährlich, eine zauberkundige Hexe und mit den Elben im Bunde sei. Doch war sie nun arm und hatte keine Hilfe, bis auf die heimliche Unterstützung einer Verwandten Húrins mit Namen Aerin, die Brodda, ein Ostling, zum Weibe genommen hatte; und Morwen war in großer Sorge, dass man ihr Túrin wegnähme und ihn versklavte. Daher kam es ihr in den Sinn, ihn insgeheim fortzuschicken und König Thingol zu bitten, dass er ihn beherberge, denn Beren, Barahirs Sohn, war ein Verwandter ihres Vaters, und überdies war er ein Freund Húrins gewesen, ehe das Unheil hereinbrach. Im Herbst des jammervollen Jahres schickte sie also Túrin mit zwei alten Dienern über die Berge fort und hieß sie, wenn sie es vermöchten, Zutritt zum Königreich Doriath zu finden. So wurde das Schicksal Túrins gewoben, das vollständig in jenem Liede erzählt wird, welches Narn i Hîn Húrin heißt, die Geschichte von den Kindern Húrins, und das längste aller Lieder ist, die von jenen Tagen sprechen. Hier wird diese Geschichte in Kürze erzählt, denn sie ist mit dem Geschick der Silmaril und der Elben verflochten; und sie wird auch die Geschichte des Schmerzes genannt, denn sie ist voller Leid, und in ihr wird am meisten von
Weitere Kostenlose Bücher