Das Silmarillion
Geheimnis zu entdecken, wie sie das Leben zurückrufen oder doch wenigstens die Tage der Menschen verlängern könnten. Doch nur in der Kunst, der Menschen totes Fleisch unverwest zu erhalten, brachten sie es zur Vollendung, und sie erfüllten das ganze Land mit stillen Gräbern, worin der Gedanke an den Tod ins Dunkel eingeschreint war. Die Lebenden aber gaben sich umso eifriger den Festen und Gelagen hin und strebten nach immer mehr Gütern und Schätzen. Nach der Zeit Tar-Ancalimons wurde es versäumt, die ersten Früchte Eru zu opfern, und nur mehr selten besuchten Menschen die Heilige Stätte auf dem Gipfel des Meneltarma inmitten des Landes.
So geschah es auch, dass die Númenórer zu jener Zeit die ersten Städte an den westlichen Küsten der alten Lande gründeten; denn ihr eigenes Land erschien ihnen wie eingeschrumpft, und sie hatten dort nicht mehr Rast noch Ruhe; und da ihnen der Westen verschlossen blieb, verlangte es sie nun nach Macht und Reichtum in Mittelerde. Große Häfen bauten sie und starke Türme, und viele ließen sich dort nieder; doch traten sie nun eher als Herren und Meister und Tributjäger auf denn als Helfer und Lehrer. Und die großen Schiffe der Númenórer wurden von den Winden ostwärts getrieben und kehrten stets beladen zurück, und ihre Könige mehrten Macht und Ruhm; und sie tranken und feierten und kleideten sich in Silber und Gold.
An all dem nahmen die Elbenfreunde wenig Anteil. Sie allein fuhren nun stets nach Norden und kamen ins LandGil-galads, um die Freundschaft mit den Elben zu pflegen und ihnen gegen Sauron Hilfe zu leisten; und ihr Hafen war Pelargir, oberhalb der Mündungen des Anduin, des Großen Stromes. Die Gefolgsleute des Königs aber fuhren in den fernen Süden; und die Fürstentümer und Hochburgen, die sie dort schufen, haben viele Gerüchte in den Sagen der Menschen hinterlassen.
Wie anderswo erzählt wird, stand Sauron in diesem Alter wieder auf in Mittelerde und machte sich von neuem ans Werk, wie es ihn Morgoth gelehrt, als er in seinem Dienste mächtig wurde. Schon in den Tagen Tar-Minastirs, des elften Königs von Númenor, hatte er das Land Mordor befestigt und den Turm von Barad-dûr erbaut, und hernach strebte er unablässig nach der Herrschaft über Mittelerde, denn ein König aller Könige wollte er werden und ein Gott für die Menschen. Und Sauron hasste die Númenórer für die Taten ihrer Väter und für ihr altes Bündnis mit den Elben und für ihre Ergebenheit gegen die Valar; auch vergaß er nicht die Hilfe, die Tar-Minastir einst Gil-galad erwiesen, zu der Zeit, als der Eine Ring geschmiedet wurde und der Krieg war zwischen Sauron und den Elben in Eriador. Nun erfuhr er, dass die Könige der Númenórer größer und mächtiger geworden seien, und umso mehr hasste er sie; doch fürchtete er, sie könnten in sein Land eindringen und ihm die Herrschaft im Osten entreißen. Lange Zeit wagte er es nicht, den Herren der See die Stirn zu bieten, und von den Küsten hielt er sich fern.
Doch Sauron wusste immer neue Ränke, und es heißt, unter jenen, die er mit den Neun Ringen betörte, seien drei große Fürsten von númenórischer Abkunft gewesen. Und als die Úlairi auftraten, welche die Ringgeister, seine Diener, waren, und seine Schreckensherrschaft über die Menschenstärkten, da begann er die festen Plätze der Númenórer an den Küsten anzugreifen.
In jener Zeit wurde der Schatten tiefer auf Númenor; und das Leben der Könige aus dem Hause Elros’ schwand dahin, weil sie sich aufgelehnt hatten, doch umso mehr nur verhärtete sich ihr Herz gegen die Valar. Und der neunzehnte König nahm das Szepter seiner Väter und bestieg den Thron unter dem Namen Adûnakhor, Herr des Westens; er entriet der Elbensprachen und verbot ihren Gebrauch in seiner Gegenwart. In die Rolle der Könige aber wurde sein Name als Herunúmen eingetragen, in der Hochsprache der Elben, nach alter Sitte, mit der ganz zu brechen die Könige sich scheuten, um kein Unheil zu beschwören. Dieser Titel nun erschien den Getreuen gar zu anmaßend, war es doch der Titel der Valar; und schwer geprüft wurden ihre Herzen im Widerstreit zwischen der Ergebenheit gegen das Haus Elros’ und der Ehrfurcht vor den ernannten Mächten. Doch Ärgeres stand noch bevor. Denn Ar-Gimilzôr, der zweiundzwanzigste König, war der schärfste Feind der Getreuen. Zu jener Zeit wurde der Weiße Baum nicht mehr gehegt und begann abzusterben; und der König verbot streng den Gebrauch der
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