Das Silmarillion
Verrat in deinen Mauern erwacht. Dann werden sie in Feuersgefahr sein. Doch wenn diese Gefahr dir naherückt, dann wird von hier, aus Nevrast, einer kommen, dich zu warnen, und Hoffnung für Elben und Menschen wird er aus Brand und Trümmern retten. Lass daher Waffen und ein Schwert in diesem Hause, dass er sie in künftigen Jahren finden möge, und daran sollst du ihn erkennen und nicht betrogen sein.« Und Ulmo erklärte Turgon, von welcher Art und Größe Helm und Panzer und Schwert sein sollten, die er zurückließ.
Dann kehrte Ulmo ins Meer zurück, und Turgon schickte all sein Volk aus, den dritten Teil aller Noldor aus Fingolfins Gefolge und eine noch größere Menge der Sindar; und sie zogen davon, heimlich und zu wenigen, unter den Schatten der Ered Wethrin hindurch, und kamen ungesehen nach Gondolin, und niemand wusste, wohin sie gegangen. Und als Letzter machte Turgon sich auf und zog mit den Seinen in aller Stille durch die Hügel, durchschritt die Tore in den Bergen, und hinter ihm wurden sie verschlossen.
Viele lange Jahre hindurch kam hernach niemand mehr hinein, bis auf Húrin und Huor; und Turgons Volk kam nie wieder hervor, bis zum Jahr des Jammers, dreihundertundfünfzig und mehr Jahre später. Hinter dem Ring der Berge aber wuchs und gedieh das Volk, und sie übten ihre Kunstfertigkeit in unermüdlicher Arbeit, so dass Gondolin auf dem Amon Gwareth eine herrliche Stadt wurde, würdig, dass man es selbst mit Tirion jenseits des Meeres verglich. Hoch und weiß waren seine Mauern und glatt die Stufen auf den Treppen, und hoch und stark war der Turm des Königs. In schimmernden Brunnen spielte das Wasser, und in Turgons Gärten standen Bilder der Bäume von einst, die Turgon selbst mit Elbenkunst geschaffen; und der Baum, den er aus Gold schmiedet hatte, wurde Glingal geheißen, und der Baum, dessen Blüten er aus Silber machte, hieß Belthil. Schöner aber als alle Wunder von Gondolin war Idril, Turgons Tochter, die man auch Celebrindal, den Silberfuß, nannte, und ihr Haar war wie Laurelins Gold, ehe Melkor kam. So lebte Turgon lange im Glück; Nevrast aber war verlassen und blieb leer bis zum Untergang von Beleriand.
Während so insgeheim Gondolin erbaut wurde, war Finrod Felagund in den tiefen Kammern von Nargothrond geschäftig; seine Schwester Galadriel aber, wie berichtet worden, blieb in Thingols Reich in Doriath. Und zuweilen sprach Melian mit Galadriel von Valinor und dem Glück von einst; doch über die finstere Stunde hinaus, da die Bäume gestorben waren, mochte Galadriel nichts sagen, sondern fiel stets in Schweigen. Und einmal sagte Melian: »Irgendein Weh liegt auf dir und deinem Volke. Dies kann ich in dir sehen, doch alles Weitere ist mir verborgen; denn kein Gesicht oder Gedanke zeigt mir, was sich im Westen zuträgt oder zugetragen hat: Ein Schatten liegt über dem ganzen Land von Aman und reicht weit übers Meer hinaus. Warum willst du mir nicht mehr sagen?«
»Dies Weh ist vergangen«, sagte Galadriel, »und ich würde zunichte machen, was hier noch bleibt an Freude, ungetrübt von Erinnerung. Und vielleicht steht noch genug Weh bevor, obwohl die Hoffnung hell scheinen mag.«
Da sah ihr Melian in die Augen und sagte: »Ich glaube nicht, dass die Noldor als Boten der Valar gekommen sind, wie es anfangs hieß – nicht, obwohl sie gerade in der Stunde unserer Not kamen. Denn nie sprechen sie von den Valar, noch haben ihre hohen Herrn Thingol Botschaften überbracht, weder von Manwe noch von Ulmo noch auch nur von Olwe, Thingols Bruder, und von seinem Volk, das übers Meer gezogen. Aus welchem Grunde, Galadriel, wurden die Edlen der Noldor als Flüchtlinge aus Aman vertrieben? Oder welches Unheil liegt auf Feanors Söhnen, dass sie so hochfahrend und grimmig sind? Komme ich nicht der Wahrheit nahe?«
»Nahe«, sagte Galadriel, »doch wurden wir nicht vertrieben, sondern kamen aus eignem Willen und gegen den Willen der Valar. Und durch große Gefahr und den Valar zum Trotz sind wir zu diesem Zwecke gekommen: Rache zu nehmen an Morgoth und zurückzugewinnen, was er gestohlen.«
Dann sprach Galadriel zu Melian von den Silmaril und davon, wie König Finwe in Formenos erschlagen wurde; noch immer aber sagte sie kein Wort von dem Eid, von dem Sippenmord oder der Verbrennung der Schiffe bei Losgar. Melian aber sagte: »Viel sagst du mir jetzt, und mehr noch kann ich sehen. Dunkel breitest du über den langen Weg von Tirion, doch ich sehe Unheil dort, von dem Thingol erfahren
Weitere Kostenlose Bücher