Das Silmarillion
verrieten die Noldor: zu Unrecht, wie du weißt, denn aus Treue sind wir vor dir still geblieben und haben deinen Zorn erregt. Doch dieseVorwürfe nun sind nicht länger zu ertragen, und die Wahrheit sollst du wissen.«
Dann sprach Angrod erbittert gegen Feanors Söhne und erzählte von dem Blutvergießen in Alqualonde, von Mandos’ Spruch und der Verbrennung der Schiffe bei Losgar. Und er rief aus: »Womit sollen wir, die wir über das Malm-Eis gekommen sind, die Beschimpfung als Sippenmörder und Verräter verdient haben?«
»Doch liegt Mandos’ Schatten auch auf euch«, sagte Melian. Thingol aber blieb lange stumm, ehe er sprach. »Geht nun!«, sagte er. »Denn das Herz ist mir heiß. Später möget ihr wiederkommen, wenn ihr wollt, denn ich will euch, meinen Neffen, nicht auf ewig die Tür verschließen, die ihr in Unrecht verstrickt wart, das ihr nicht gewollt. Auch mit Fingolfin und seinem Volk will ich Freundschaft halten, denn soweit sie Schuld tragen, haben sie bitter gebüßt. Und vergessen sei unser Zwist im Hass auf die Macht, die all dies Unheil gestiftet. Doch höret mich an! Niemals wieder klinge mir die Sprache jener in den Ohren, die mein Volk in Alqualonde erschlugen! Und in meinem ganzen Reich soll sie nicht mehr laut werden, solange meine Herrschaft dauert. Alle Sindar sollen auf mein Gebot hören, in der Sprache der Noldor weder mehr zu sprechen noch auf sie zu antworten. Und alle, die sie gebrauchen, sollen als reuelose Mörder und Verräter von Blutsverwandten gelten.«
Da schieden Finarfins Söhne schweren Herzens aus Menegroth, erkannten sie doch, dass Mandos’ Worten immer von neuem Wahrheit zuwuchs und dass keiner der Noldor, die Feanor gefolgt waren, dem Schatten entgehen könnte, der auf seinem Hause lag. Und es geschah, wie Thingol gesagt hatte, denn die Sindar hörten auf ihn und weigerten sich fortan in ganz Beleriand, die Noldorsprache zu sprechen,und wer sie dennoch laut gebrauchte, wurde gemieden; die Verbannten aber nahmen für alle täglichen Belange das Sindarin an, und die Hochsprache des Westens sprachen nur mehr die Fürsten der Noldor, wenn sie unter sich waren. Doch lebte ihre Sprache fort als eine Sprache der Wissenschaft, wo immer noch einer aus ihrem Volk lebte.
Nun begab es sich, als Nargothrond fertig war (während Turgon noch in den Hallen von Vinyamar wohnte), dass Finarfins Söhne sich dort zu einem Fest versammelten; und Galadriel kam aus Doriath und blieb eine Weile. König Finrod Felagund hatte kein Weib, und Galadriel fragte ihn, warum dies so sei; doch als sie sprach, kam Vorwissen über Felagund, und er sagte: »Einen Eid werde auch ich schwören, und frei muss ich sein, ihn zu erfüllen und ins Dunkel zu treten. Nichts wird dauern von meinem Reich, was ein Sohn erben könnte.«
Doch es heißt, erst von jener Stunde an hätte so kalter Sinn ihn geleitet; denn die er geliebt hatte, war Amarië von den Vanyar, und die war nicht mit ihm in die Verbannung gegangen.
KAPITEL XVI
VON MAEGLIN
A redhel Ar-Feiniel, die Weiße Dame der Noldor, Fingolfins Tochter, lebte in Nevrast bei Turgon, ihrem Bruder, und mit ihm zog sie ins Verborgene Königreich. Doch wurde sie der bewachten Stadt Gondolin müde, und immer mehr, je länger sie dort blieb, verlangte es sie, wieder über Land zu reiten und durch die Wälder zu gehen, wie es in Valinor ihre Gewohnheit gewesen; und als zweihundert Jahre vergangen waren, seit Gondolin stand, sprach sie mit Turgon und bat um Erlaubnis, auszureiten. Turgon mochte dies nicht gewähren und schlug es ihr lange ab, zuletzt aber gab er nach und sagte: »Geh denn, wenn du willst, wenn auch gegen meinen Rat; und mir ahnt, dass nichts Gutes dabei herauskommt, weder für dich noch für mich. Doch nur deinen Bruder Fingon darfst du besuchen, und die, welche ich dir zum Geleit mitgebe, sollen wieder hierher nach Gondolin zurückkehren, so schnell sie können.«
Aredhel aber sagte: »Deine Schwester bin ich, nicht deine Dienerin, und jenseits deiner Grenzen gehe ich, wohin es mir beliebt. Und missgönnst du mir eine Eskorte, so geh ich allein.«
Da erwiderte Turgon: »Nichts missgönne ich dir, was ich besitze. Doch wünsche ich, dass außerhalb meiner Mauernniemand sei, der den Weg hierher kennt; und wenn ich auch dir, meiner Schwester, vertraue, so bin ich doch bei andren weniger gewiss, ob sie ihre Zunge zu hüten verstehen.«
Und Turgon gab drei Edlen aus seinem Hause Auftrag, mit Aredhel zu reiten und sie zu Fingon nach Hithlum zu
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