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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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dabei die Kehle auf. Warm ergießt sich sein Leben auf den Stoff meiner Hose.
    Warum ist das passiert?
    Er liegt auf dem Boden. Ich hoffe, ich kann das Geräusch, welches aus seinem offenen Hals kommt, irgendwann einmal vergessen. So wie ich seinen Namen vergessen habe. Aber wahrscheinlich funktioniert das nicht. Die schlimmen Sachen behält man im Kopf.
    Das Geräusch wird leiser, manchmal setzt es für einen Moment aus, dann rasselt es nochmal. Es ist nicht mehr laut genug, als das es jemanden wecken könnte. Dann hört es auf.
    Wir schließen die Tür und lassen uns alle auf den Boden sinken, sitzen um den toten Mann herum und sagen kein Wort. Wir haben die ganze Zeit nicht miteinander gesprochen. Und ich glaube auch nicht, dass es Sinn machen würde, mit Victor und Iancu über das Geschehene zu reden.
    Du hast mir immer gesagt, ich sei ein ganz besonderer Mensch. Meine Gedanken seien so wunderschön, obwohl ich im Leben schon so viel Schlimmes erlebt habe. Ich sei eine Poetin, hast du mal gesagt, auch wenn mir nie jemand richtig Lesen und Schreiben beigebracht hat. Woher auch immer meine Gabe komme, sie sei ein Geschenk. Ich dürfe nie aufhören, über all das nachzudenken.
    Jetzt würde ich es aber gern, Aurel. Jetzt hätte ich gern diese stumpfe Art von Victor und Iancu, die bereits die Taschen des Toten nach Wertgegenständen durchsuchen. Ich würde doch auch so gern handeln. Als wenn heute eine ganz friedliche Nacht und dieser Moment ganz und gar normal wäre. Stattdessen quält mich etwas, mein Bewusstsein, das du als Geschenk ansiehst.
    Ich habe schon viele Menschen geschlagen, und das musste sein. Ich habe nicht wenige schwer verletzt, um mich und die Kinder zu schützen. Aber ich habe noch nie jemanden getötet. Bis heute. Und ich weiß, diese Tatsache werde ich weder vergessen noch verdrängen können. Ich bin eine Mörderin.
    Victor hat eine silberne Uhr entdeckt. Iancu hält den Ehering des Mannes in der Hand.
    Ich habe auch etwas gefunden. Ich habe es in meinem Kopf wiederentdeckt. Einen Namen. Er ist mir heute schon einmal nicht eingefallen. Bin ich so kaputt, dass ich an einem Tag zweimal denselben Namen vergesse?
    Jetzt ist er wieder da. Und wahrscheinlich wird er mir nun nie wieder entfallen. Es ist der Name des Mannes, den ich heute getötet habe. Roland Peters.

Heiliger-Hof, Privaträume im ersten Stock
Ruhe, endlich Ruhe
    Endlich waren sie fort. Annegret Helliger schob die Gardine wieder vor die Scheibe.
    Holländer hatte die letzten Partygäste fast unsanft vom Hof gejagt. Zwar mochte sie diesen groben, oftmals zu übertriebenen Kraftdemonstrationen neigenden Mitarbeiter ihres Mannes nicht, zudem vermutete sie, dass er irgendetwas vor ihnen verbarg, einen Haufen Schulden oder eine Vorstrafe, denn er blickte ihr nie direkt in die Augen – aber für Aufräumaktionen wie heute Abend war Holländer der richtige Mann.
    Anders als Sebastian. Dieser war im Hof nur kurz in Erscheinung getreten und hatte den Gästen berichtet, was geschehen war. Sie waren alle fassungslos gewesen, sie hatte die Stimmen bis in ihr Schlafzimmer gehört. Doch sie hatten das Gelände nicht verlassen.
    «Aurel ist tot?» – «Aber warum denn?» – «Das kann doch nicht wahr sein.»
    Unentwegt war es so weitergegangen. Erst als der Hausmeister lauter wurde und eindeutige Gesten machte, waren sie davongestoben.
    Aurels Freunden ging es nicht anders als ihr. Vielleicht war sie nur schon einen Schritt weiter. Hatte sie die Wahrheit erst zu verdrängen versucht, holte der Schmerz sie nun doch in die Realität zurück – in die Realität, in der Aurel tot war und irgendwo lag, auf einem Tisch in einem Institut, zur näheren Untersuchung. Sebastian hatte mit einem Kommissar telefoniert, auf ihr Drängen hin hatte er sich nach dem Stand der Dinge erkundigt. Und erfahren, dass die Obduktion noch lief.
    Es war unvorstellbar. Aurel.
    Zum Glück schliefen die Kinder endlich. Und vielleicht würde auch sie jetzt etwas Ruhe finden. Sie hatte Sebastian gebeten, heute Nacht in seinem Zimmer zu schlafen. Es hatte nicht einen Hauch von Widerrede gegeben. Er wusste, wie es um sie stand. Er kannte sie so gut. Immer nahm er Rücksicht, war sanft und vorsichtig.
    Sie hatte ihm nichts von dem Fahrrad, von dem merkwürdigen Zettel und dem fremden Wort LADISLAUS erzählt. Morgen wollte sie zur Apotheke und herausfinden, was es damit auf sich hatte. Und dann würde Annegret vielleicht auch ihrem Mann davon berichten. Je nachdem, was sie in

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