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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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erschreckt umgeschaut und so schuldbewusst ausgesehen, als habe er etwas ausgefressen, eine Fensterscheibe zertrümmert oder Ähnliches. «Ich habe ihr nur gesagt, dass der Aurel gestorben ist.»
    Das Heulen hatte zum Glück nicht lange gedauert. Und dann war alles sehr schnell gegangen, die Kinder waren mit dem Übersetzen fast nicht hinterhergekommen. Zum Glück, denn weil sie sich so hatten beeilen müssen, dem Wortschwall der Fremden zu folgen, hatten sie vom Inhalt der Aussage wohl nur das Wenigste verstanden.
    Nun saßen sie wieder im Auto, Tempo hundertvierzig auf der Bundesstraße in Richtung Großes Meer. Teresa hatte in Britzkes dunkelrotem Zivilkombi Platz genommen, ohne Handschellen, darauf hatte Wencke Wert gelegt. Der Wagen fuhr nur wenige Meter hinter ihnen.
    Britzke hatte glücklicherweise zwei Sitzerhöhungen in seiner privaten Familienkutsche gehabt, denn Wencke hatte darauf bestanden, die beiden Kinder mitzunehmen. Der Junge war begeistert, Sanders hatte das Blaulicht aufs Dach geklemmt und lieferte eine filmreife Einsatzfahrt. Das Mädchen kauerte sich eher ängstlich in die Ecke. Im Gegensatz zu ihrem Bruder schien Henrike mehr mitbekommen zu haben. Auch von dem, was Teresa über den Vorfall im Moormuseum erzählt hatte, wenngleich sie vom Angriff auf Annegret Helliger nichts gesehen haben wollte, sondern nur wirres, unglaubwürdiges Gestammel über einen unbekannten Verrückten zu Protokoll gab. Doch das kleine Mädchen schien verstanden zu haben, dass vom Rest der Familie zurzeit nicht viel zu erwarten war, also war es klaglos mit in den Wagen gestiegen. Wencke war froh, denn so leid ihr die Kinder auch taten, sie ahnte, dass deren Sprachkenntnisse heute noch unerlässlich sein könnten. Wenn das stimmte, was Teresas Wissen andeutete, dann waren sie hier auf einmal ganz woanders gelandet, ganz weit weg von kleinen, tragischen Liebes- und Familiengeschichten im beschaulichen Ostfriesland. Dann waren sie einer verdammt heißen Sache auf der Spur.
    Und Wencke wusste wirklich nicht, ob sie diese Aussicht aufregend oder bedrohlich finden sollte. Denn eine Sache machte ihr zu schaffen: Seit mehr als einer Stunde schon hatte sie Anivia nicht erreicht. Und obwohl ihr sonst so zuverlässiges Au-pair-Mädchen versprochen hatte, so schnell wie möglich zum Dolmetschen nach Aurich zu kommen, war es bislang noch nicht aufgetaucht. Keine Nachricht, kein Anruf, keine SMS. Es war, als wären sie und Emil mit einem Mal von der Bildfläche verschwunden. Irgendwo im Moor verschluckt. Irgendwo am Großen Meer.
    Zufall?
    Was war, wenn dieser Jakob und sie tatsächlich den Ort gefunden hatten, den Aurel Pasat während seines Deutschlandaufenthaltes so oft aufgesucht hatte?
    Diesen Ort, der geheim und abgelegen sein musste, versteckt im Naturschutzgebiet. Und von dem sie – Wencke – annahm, dass dort Kinder versteckt waren. Kranke Kinder. Aus welchem Grund auch immer. Alles, was Teresa über ihren verschwundenen Bruder Ladislaus und die anderen Vermissten erzählt hatte, deutete darauf hin, dass Menschenhändler im Spiel waren. Diese Hilfstransporte fielen Wencke ein, die voll gepackt mit Spielsachen und Kleidungsstücken von Sebastian Helliger nach Rumänien geschickt wurden, um dort Freude zu bereiten.
    Was befand sich im Lastwagen, wenn er zurückkehrte? Nichts? Oder vielleicht diese Kinder?
    Wer würde an der Grenze einen Transporter nach Illegalen durchsuchen, wenn dieser von einem offiziellen Gutmenschen geschickt wurde, mit lupenreinen Papieren, ausgestellt von der Prim ặvarặ -Organisation, die einen tadellosen Ruf besaß?
    Man konnte sich leicht zusammenreimen, was dann – in Deutschland angekommen – passierte.
    War es nicht so, dass es angeblich organisierte Bettelringe gab, die von dem Mitleid der Menschen profitierten? Traurige Rumänenkinder mit Spastiken, verstümmelten Gliedmaßen, dünnen Körpern – wer hatte sie noch nicht in den Fußgängerzonen gesehen, oftmals noch mit einem halb zerfallenen Instrument in den Händen, auf dem sie jämmerliche Töne spielten, sodass nicht nur die zahlten, denen die Kinder leidtaten, sondern auch Anlieger, die das Gejaule endlich loswerden wollten. Wie oft schon hatte Wencke gehört, dass die Bettelkinder anschließend von einem dicken Mercedes abgeholt wurden, ab ins Nachtlager, zur selben Zeit, wenn die Geschäftsleute ihre Sonderangebotsständer über die Rampe in die Läden wuchteten. Doch wo waren diese Lager? Etwa hier in Ostfriesland?
    Vermutungen,

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