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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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Geäst der tief wachsenden Bäume. Jakob Mangold eilte weiter voran. Noch einen Kilometer und sie hätten diesen Metallcontainer erreicht, einen leeren Schuppen, er würde reichen, um Anivia so lange zu verstecken, bis alles andere geregelt war. Wie lange würde er brauchen, bis er das Geld zusammen und einen Flughafen erreicht hatte? Acht Stunden?
    Sie würden ihn nicht kriegen, sie müssten ihn laufen lassen. Vielleicht entdeckten sie das Au-pair-Mädchen heute noch hier im Moor. Aber bis dahin wären er und das Kind der Kommissarin schon eine ganze Weile auf der Flucht.
    Das war seine einzige Chance. Er war entschlossen, sie zu nutzen.
    «Wann sind wir endlich da?», fragte Anivia, und es gelang ihr schon längst nicht mehr, die Angst in der Stimme zu unterdrücken.
    «Gleich», sagte Jakob Mangold. «Nur noch ein paar Schritte.»
    Ein tiefes Brummen näherte sich aus Richtung Osten. Die Vögel im Schilf flatterten mit aufgeregtem Geschrei in den Himmel. Hier waren Kraftfahrzeuge strengstens verboten, die Tiere wurden so gut wie nie von Motorengeräusch aufgeschreckt. Wenige Meter vor ihnen gab es diese brüchige, fast zugewucherte Straße, die aus dem Nirgendwo zu kommen und ins Nichts zu führen schien. An dieser Stelle war er auch Aurel zum ersten Mal begegnet. Doch ein Auto hatte Jakob hier noch nie entlangfahren sehen. Normalerweise kamen sie doch nachts, das war ausgemacht. Und wenn er sich nicht total täuschte, war es sogar ein Lkw. Was sollte das? Was war hier los?
    Anivia zuckte nur kurz, dann versuchte sie, den Kinderwagen zu schnappen. Ein Fluchtversuch, sie wollte bestimmt zum Fahrzeug gelangen, sie sah in diesem Moment wahrscheinlich ihre einzige Chance, ihm zu entkommen.
    «Bleib, wo du bist!», knurrte er und packte sie unsanft am Arm. Doch sie riss sich mit einem Ruck los, stieß ihn zur Seite, fasste die Griffe des Buggys und rannte los in Richtung Motorengeräusch.
    «Hilfe! Hilfe! Können Sie mich hören?» Beim Laufen zog sie sich mit einer Hand die Stöckelschuhe von den Füßen und warf sie nach hinten. Das Luder, einer der spitzen Absätze traf Jakobs Schulter, er jaulte kurz, dann nahm er die Verfolgung auf. Wenn Anivia diesen Wagen erreichte, war er verloren. Das durfte nicht geschehen. Er hatte diesen Trumpf, dieses Kind der Kommissarin, wenn es der Furie gelang, den Fahrer des Gefährts auf sich aufmerksam zu machen, dann war seine letzte Chance vertan. Er musste es verhindern.
    Sie blieb mit dem vorderen, eiernden Rad des Kinderwagens an einer Wurzel hängen, das plötzliche Hindernis zwang sie zum abrupten Stopp, an der Hüfte knickte sie ein und beugte sich kurz über den Sitz. Das Kind erwachte und schrie im selben Augenblick. Jakob steckte die Hand aus, gleich hatte er sie, dann würde er sie bestimmt nicht mehr entwischen lassen. Seine Fingerspitzen berührten ihren nackten Arm. Sie rannte wieder los. Sie war schnell, verdammt nochmal, trotz des klapprigen Buggys, sie legte in dieser Wildnis ein atemberaubendes Tempo vor. Jakob wusste, es war die Angst, die das Mädchen mit dem Kind vorantrieb. Die Angst vor ihm.
    Das Motorengeräusch war jetzt laut, man hörte das Zischen der Schaltung, das riesige Gefährt ächzte die schlangenförmige Holperstraße entlang, quälte sich um die verwachsenen Kurven, näherte sich ihnen langsam und doch mit einem den Straßenverhältnissen unangemessenen Tempo. Kurz tauchte zwischen einigen Baumkronen eine weiße Metallwand auf. Es war tatsächlich ein Lkw, Jakob erkannte das Piktogramm mit dem dunklen Klecks, aus dem eine stilisierte Blume emporwuchs. Es war das Markenzeichen einer großen Firma aus Großheide, es war das Logo von «Heiligers Kompostierwerken».
    Was hatte der Moorkönig denn jetzt schon hier zu suchen?
    War alles vorbei?

Im ostfriesischen Wo-auch-immer und jetzt?
    Irgendwo brummte ein Lastwagen durchs Grün, ansonsten lag die schwüle Stille der unberührten Natur über Axel Sanders’ Wagen, mit dem er auf einem breiten Grasstreifen am Rande einer zerklüfteten Landstraße direkt vor einem dreieckigen Schild mit kreisendem Adler zum Stehen gekommen war. Sie blieben alle im Wagen sitzen, Wencke, die beiden Helliger-Kinder und er selbst. Die Hitze kroch ihm unter den Hemdkragen, er wusste, es war ein nicht unerheblicher Teil Angstschweiß dabei. Hatte er die ganze Zeit falsch gelegen? War es wegen seiner Sturheit vielleicht zu spät? Hätte er von Anfang an auf Wencke gehört, würde Annegret Helliger dann in diesem Moment

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