Das soziale Tier
sinnvoll, so fuhr sie fort, mehr Mitarbeiter für sogenannte »Multi-Paradigmen-Teams« zu gewinnen. Es könne sehr ergiebig sein, wenn man verschiedene Personengruppen dazu bringe, ein bestimmtes Problem aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Erstens sind Menschen evolutionsgeschichtlich gewissermaßen darauf angelegt, in kleinen Gruppen zu arbeiten – zahlreiche Studien legen den Schluss nahe, dass Gruppen Probleme oftmals besser lösen als Individuen. In einer Studie lösten 75 Prozent der Gruppen eine schwierige Aufgabe mit unterschiedlich beschrifteten Karten, die sogenannte Wahlaufgabe von Peter Wason, verglichen mit nur neun Prozent der Einzelpersonen. 7 Zweitens nutzen verschiedene Menschen, wenn sie sich mit einem bestimmten Problem befassen, unterschiedliche analytische Methoden. Wenn man sich nur auf ein Modell verlässt, neigt man dazu, die Wirklichkeit zu amputieren, um sie mit dem Modell in Einklang zu bringen.
»Die Mitarbeiter dieses Unternehmens kennen sich nicht«, fügte sie hinzu. Sie erzählte, wie sie unmittelbar nach ihrem Eintritt ins Unternehmen mit einem ihrer Kollegen zu Mittag gegessen habe. Sie habe ihn gefragt, ob er ein paar der anderen Leute kenne, die sie in der Firma kannte. Er antwortete: »Nein, aber ich bin erst zehn Jahre hier. Ich kenne noch nicht viele Leute.«
»Menschen lassen ihre sozialen Bedürfnisse nicht zu Hause zurück, wenn sie morgens zur Arbeit gehen«, sagte sie. »Es mag sich abgedroschen und billig anhören, aber eine Menge Leute in der Firma hätten gern Fun Fridays mit besonderen Aktivitäten. Wir könnten die Cafeteria in einen Strand für Strandparty-Bingo verwandeln. Wir könnten Softball-Turniere veranstalten und ein Volleyballfeld anlegen. Bei solchen Gelegenheiten entstehen Freundschaften.«
Erica machte so weiter. Sie sprach über firmeninterne Leitlinien (Führungskräfte sollten immer die Gründe dafür darlegen, weshalb sie bestimmte Aufgaben erledigt haben wollen, und nicht nur Anweisungen erteilen). Sie sprach über neue Einstellungsverfahren, die das Unternehmen einführen könnte (vielleicht könnten auch Mitarbeiter auf unteren hierarchischen Ebenen in die Vorstellungsgespräche eingebunden werden). Sie sprach über Mentoring-Programme, da die wichtigsten Kompetenzen an jedem Arbeitsplatz implizite Fähigkeiten sind, die nicht gelehrt werden, sondern nur durch Mitmachen und Nachahmen erworben werden können. Sie schlug vor, den Abteilungsleitern eine Art »Schmiergeld« zu geben, um Leistungsprämien auf der Stelle auszahlen zu können. So könnten alle Mitarbeiter sehen, dass sich gute Arbeit unmittelbar lohne. Sie machte einige Vorschläge zur Umbenennung des Unternehmens. In den letzten Jahren hatte sich das Unternehmen selbst in einen multinationalen Mischkonzern wie General Electric oder Citigroup verwandelt. Aber darunter hatte die Kundenbindung gelitten. Vielleicht sollte das Unternehmen wieder das entschieden uncoole Unternehmen von früher werden. Einst verschenkte das Unternehmen Kühlschrank-Magneten. Heute trat es als Sponsor von Golfturnieren auf. Etwas hatte sich verändert.
Raymond und Erica redeten nicht lange, zusammen etwa 15 Minuten. Anschließend überreichten sie Taggert das Exposé, das sie geschrieben hatten, und nahmen wieder Platz. Auch andere meldeten sich zu Wort. Einige waren wütend und kritisch. Einige waren schmeichlerisch. Das Treffen endete ohne konkrete Ergebnisse. Die Analysten hatten nur Taggerts Präsentation aufmerksam verfolgt; von allem, was danach kam, hatten sie keine Notiz genommen. An diesem Nachmittag schickten sie die Aktie auf Talfahrt. Was die Mitarbeiter und die Mitglieder des Aufsichtsrats anbelangte, so hatten sich die Ausführungen von Raymond und Erica bei ihnen noch nicht richtig gesetzt. Sie stürmten nicht die Bühne, um sie zum König und zur Königin zu krönen und Taggert in Eisen abzuführen. Aber sie nickten zustimmend. Sie verinnerlichten die Botschaft, wonach das Unternehmen seine frühere Größe verspielt habe, indem es sein Kerngeschäft vernachlässigte. Und als die Monate vergingen, der Aktienkurs weiter nachgab, der Schuldenberg immer höher wurde und die Zukäufe das Unternehmen nicht vor dem Niedergang bewahrten, veränderte sich die Atmosphäre allmählich.
Die überwiegende Zahl der Mitarbeiter und Aktionäre hatte früher geglaubt, Taggert sei ein Star-Manager, der von außen ins Boot geholt worden sei, um alles umzukrempeln. Dann hatten sie geglaubt, er
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