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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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so aus dem Mund purzelten, hatte sie das Gefühl, einen Schritt über den Rand einer Klippe zu machen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ihre Gedanken eilten schon wieder voraus: Wie sollte sie ihren Verwandten und ihren Mitarbeitern die Scheidung erklären? Sie müsste lernen, wieder mit Männern auszugehen. Wie würde die offizielle Geschichte lauten?
    Harold war weder schockiert noch überrascht, aber er machte nicht den nächsten logischen Schritt. Er fing nicht an, darüber zu sprechen, was sie tun sollten. Er sprach nicht darüber, dass sie sich Scheidungsanwälte nehmen sollten, und machte auch keinen Vorschlag zur Aufteilung ihres Vermögens. Er nahm ihre Worte einfach auf, redete über die Absprachen mit einem Dachdecker, den sie beauftragt hatten, und ging dann in die Küche, um sich einen Scotch zu genehmigen.
    In den folgenden Tagen und Wochen war es so, als wäre nichts gesagt worden. Sie lebten wieder in ihren getrennten Welten. Aber Harold spürte die tektonische Plattenverschiebung in sich. Die Sichtweise einer Person kann sich ändern, auch wenn das Leben äußerlich unverändert weitergeht.
    Eines Tages, ein paar Wochen nach Ericas Ausbruch, aß Harold allein in einer Pizzeria zu Mittag. Er sah aus dem Fenster über die Straße auf einen Schulhof. Es war gerade Pause, auf dem Asphalt tummelten sich Hunderte von Grundschülern. Sie rangelten miteinander, liefen, kletterten, balgten sich und schnatterten. Es war erstaunlich: Man brauchte Kinder nur auf einem flachen, leeren Platz sich selbst zu überlassen, und schon bald herrschte dort eine chaotische Volksfeststimmung.
    Als sie geheiratet hatten, war Harold wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie Kinder haben würden. Alle Ehepaare, die er kannte, hatten Kinder. Doch Erica war in den ersten Jahren beruflich total eingespannt gewesen. Es kam nie der richtige Zeitpunkt. Als sie ungefähr fünf Jahre verheiratet waren, erwähnte er eines Tages beiläufig seinen Kinderwunsch. »Nein, nicht jetzt!«, schrie sie ihn an. »Überfall mich nicht noch einmal damit!«
    Er war bestürzt und sprachlos. Sie stürmte hinaus und fuhr ins Büro.
    Das waren die einzigen Sätze, die sie jemals über das Thema gewechselt hatten. Es war eines der wichtigsten Themen ihres Lebens. Es war ihr Kernkonflikt, ein Krebsgeschwür im Zentrum ihrer Beziehung. Und sie sprachen nie wieder darüber.
    Harold hatten jeden Tag an Kinder gedacht, aber er scheute davor zurück, das Thema noch einmal zur Sprache zu bringen. Er schreckte vor einer Konfrontation mit Erica zurück, da er wusste, dass er es an Willenskraft nicht mit ihr aufnehmen konnte. Irgendwie glaubte er, sie durch seine bloße Passivität umstimmen zu können. Bestimmt würde sie spüren, dass er Kinder wollte, und Mitleid mit ihm haben und dann das tun, was sie beide glücklich machen würde.
    Sie kannte seine passiv-aggressive Seite, und sie fand sie abstoßend. Er schäumte insgeheim vor Wut darüber, dass sie die Frechheit besessen hatte, die Entscheidung über Kinder ohne ihn zu treffen. Das war eine der wichtigsten Entscheidungen ihres gemeinsamen Lebens, und sie hatte es nicht für nötig erachtet, diese mit ihm zu besprechen.
    Oft rief er sich ihren einen kurzen Wortwechsel zu dem Thema in Erinnerung. Er fragte sich, was Ericas wütende Reaktion ausgelöst hatte. Vielleicht hatte ihre eigene Kindheit einige Narben bei ihr zurückgelassen. Vielleicht hatte sie sich geschworen, niemals Kinder in die Welt zu setzen. Vielleicht war es ihr Arbeitseifer, oder ihr fehlte einfach der Mutterinstinkt. Manchmal wollte er sie zwingen, Kinder zu bekommen, aber Zwang ist nicht die geeignete Grundlage, um ein Kind auf die Welt zu bringen.
    Dennoch zogen Kinder seinen Blick wie magisch an. In dieser trübsinnigen Stimmung in der Lebensmitte beobachtete er Babys im Flugzeug und sah sich heimlich ihre Händchen und Füßchen an. Ihm fielen Kleinkinder auf, die von ihren Großvätern im Kinderwagen herumkutschiert und ungeschickt gefüttert wurden. Er beobachtete Scharen von Kindern auf den Bürgersteigen, die miteinander scherzten und so fröhlich mit sich selbst beschäftigt waren, dass sie weder Hitze noch Kälte noch die blauen Flecken an ihren Knien spürten. Wenn er schlechter Laune war, sah er in der Kinderlosigkeit seiner Frau einen Beleg für ihre Rücksichtslosigkeit, ihre Unfähigkeit, zu geben, ihre egoistische und engstirnige Hingabe an Beruf und Karriere. In diesen Augenblicken verachtete er sie.
    Vertane

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