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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Kultur, bestimmte musikalische Muster zu erwarten, die im Lauf der Zeit in unserem Gehirn fest verdrahtet werden.« 17
    Wenn die Musik unseren Erwartungen entspricht, erleben wir einen wohltuenden Moment der Freude. Einige Wissenschaftler glauben, dass eine Informationseinheit umso mehr Lust erzeugt, je flüssiger eine Person diese verarbeitet. 18 Wenn ein Lied, eine Geschichte oder ein Argument mit den internen Modellen des Gehirns in Einklang ist, dann ruft diese Synchronizität ein warmes Gefühl der Beglückung hervor.
    Aber der Geist existiert auch in einem Zustand der Spannung zwischen Vertrautheit und Neuheit. Das Gehirn ist evolutionär darauf ausgelegt, ständige Veränderungen zu registrieren, und es macht ihm Spaß, das Unerwartete zu verstehen. Daher gefällt uns Musik, die mit unseren Erwartungen flirtet und diesen dann Streiche spielt. Wie Daniel Levitin in seinem Buch Der Musik-Instinkt bemerkt, fesseln die ersten beiden Töne von »Over the Rainbow« mit dem dissonanten Oktav-Abstand unsere Aufmerksamkeit, der Rest des Liedes versetzt uns dann in eine eher bekannte, sanftere Hochstimmung. 19 In seinem Buch Emotion and Meaning in Music zeigte Leonard Meyer, wie Beethoven zuerst ein rhythmisch und harmonisch klares Muster aufbaute und es dann immer stärker abwandelte. 20 Das Leben ist Veränderung, und das glückliche Leben besteht aus einer Reihe sanfter, stimulierender und melodischer Veränderungen.
    Die Wahrnehmung eines Gemäldes folgt einem ähnlichen Prozess. Zunächst erschafft das Gehirn das Gemälde. Das heißt, jedes Auge führt eine Reihe schneller, komplexer Sprünge über die Oberfläche des Bildes aus, die anschließend im Cortex wieder zu einem einzigen Bild zusammengesetzt werden. Bestimmte Teile jeder visuellen Szene kann das Gehirn nicht sehen wegen des blinden Flecks in der Mitte jedes Auges, an der Kontaktstelle zwischen Sehnerv und Netzhaut. Das Gehirn füllt die Leerstellen auf der Basis seiner eigenen Vorhersagen aus. Gleichzeitig erlegen wir dem Gemälde unsere eigenen mentalen Konzepte auf. Zum Beispiel bestimmt das Gehirn die Farbe. Je nach Beleuchtung und anderen Faktoren kommt es zu enormen Schwankungen in der Wellenlänge der Lichtstrahlen, die von einem Bild zurückgeworfen werden, doch das Gehirn benutzt innere Muster, um uns den Eindruck zu vermitteln, die Farbe auf der Oberfläche bleibe die gleiche. 21 Wenn das Gehirn Objekten keine gleichbleibenden Farben zuschreiben könnte, befände sich unsere Wahrnehmung der Welt in einem chaotischen Fluss, und es fiele uns schwer, der Umgebung nützliche Informationen zu entnehmen.
    Wie das Gehirn diese Illusion gleichbleibender Farben erzeugt, ist noch nicht richtig geklärt, aber Quotienten, also Verhältniszahlen, scheinen dabei eine Rolle zu spielen. Stellen Sie sich eine grüne Oberfläche vor, die von Gelb- und Blau- und Violetttönen umgeben ist. Das Gehirn versteht, dass zwischen den Wellenlängen, die von grünen Flächen zurückgeworfen werden, und den Wellenlängen, die von gelben Flächen zurückgeworfen werden, ein konstantes Verhältnis besteht. Inmitten sich stetig verändernder Bedingungen kann das Gehirn diesen farbigen Flächen konstante Eigenschaften zuordnen. So schreibt Chris Frith vom University College in London: »Unsere Wahrnehmung der Welt ist eine Fantasie, die mit der Wirklichkeit übereinstimmt.« 22
    So, wie das Gehirn das Gemälde erschafft, beurteilt es dieses auch. Zahlreiche Forschungsarbeiten haben herausgefunden, dass die meisten Menschen bestimmte ästhetische Vorlieben teilen. Wie Dennis Dutton in seinem Buch The Art Instinct behauptet, fühlen sich Menschen weltweit von einer bestimmten Art der Malerei angezogen, von Landschaften mit offenen Räumen, einem Gewässer, Straßen, Tieren und einigen wenigen Leuten. Ein eigener Industriezweig ist entstanden, um diese Präferenzen zu untersuchen. Evolutionspsychologen behaupten, dass Menschen überall eine Vorliebe für bildliche Darstellungen von Landschaften haben, die der afrikanischen Savanne entsprechen, wo der Ursprung des Menschen liegt. Menschen mögen im Allgemeinen nicht den Anblick dichter Vegetation oder karger Wüstenlandschaften: Die eine ist bedrohlich, in der anderen gibt es keine Nahrung. Menschen mögen üppiges, offenes Grasland mit verstreuten Busch- und Bauminseln, einer Wasserquelle, einer vielfältigen Flora mit Blüten- und fruchttragenden Pflanzen und, wenigstens in einer Richtung, einem ungehinderten Ausblick auf den

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