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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Menschen sich umso mehr mögen, je mehr sie ihre Bewegungen gegenseitig nachahmen – und dass sie sich umso stärker nachahmen, je mehr sie sich mögen. 31 Viele Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die Fähigkeit, den Schmerz und das Leid einer anderen Person unwillkürlich nachzuempfinden, ein Baustein von Empathie ist und, über diese Emotion, auch unseres moralischen Bewusstseins.
    Was immer die Erforschung der Spiegelneuronen noch an Erkenntnissen zutage fördern mag, erlaubt uns die Theorie jedenfalls die Erklärung eines Phänomens, das wir jeden Tag erleben, insbesondere in der Eltern-Kind-Beziehung: Wir sind in hohem Maße empfänglich für Signale von anderen. Zwischen Gehirnen existieren komplexe Rückkopplungsmechanismen. Derselbe Gedanke und dasselbe Gefühl können in unterschiedlichen Köpfen entstehen, wobei die unsichtbaren neuronalen Netzwerke die räumliche Distanz zwischen ihnen überwinden.
    Andere zum Lachen bringen
    Eines Tages, viele Monate später, saßen Julia, Rob und Harold am Tisch und aßen zu Abend, als Rob geistesabwesend einen Tennisball auf den Tisch fallen ließ. Harold brach in schallendes Gelächter aus. Rob ließ den Ball ein weiteres Mal fallen. Harold sperrte den Mund weit auf vor Freude, Lachfalten kräuselten seine Augen, sein kleiner Körper bebte und sein begeistertes Lachen füllte das ganze Zimmer. Rob hielt den Ball über den Tisch, und alle drei saßen in gespannter Erwartung reglos da. Dann ließ er den Ball ein paar Mal hüpfen, und Harold lachte schier unbändig, noch lauter als zuvor. Er saß da in seinem Pyjama, seine kleinen Hände seltsam still, und war außer sich vor Freude. Rob und Julia lachten ebenfalls so heftig, dass ihnen Tränen übers Gesicht liefen. Rob wiederholte das Spielchen immer wieder. Harold starrte in Erwartung, dass der Ball gleich fallen würde, auf Robs Hand und kreischte dann vor Vergnügen, wenn er tatsächlich fiel. Sein Kopf bewegte sich auf und ab, seine Zunge zitterte und seine Augen wanderten verzückt von Gesicht zu Gesicht. Jedes Mal, wenn er vor Freude quiekte, taten es ihm Rob und Julia gleich, sodass ihre Stimmen mit seiner verschmolzen und deren Modulationen folgten.
    Das waren die schönsten Augenblicke des Tages, die kleinen Guckguck-Spiele, das Ringen und Kitzeln auf dem Boden. Manchmal hielt Julia einen Waschlappen in ihrem Mund über dem Wickeltisch. Harold schnappte ihn und versuchte vergnügt, ihn wieder hineinzustecken. Es war die Wiederholung vorhersagbarer Überraschungen, die Harold in Begeisterung versetzte. Die Spiele vermittelten ihm das Gefühl, bestimmte Dinge zu beherrschen – und damit allmählich zu verstehen, wie die Welt funktionierte. Sie gaben ihm das Gefühl – das für Babys die größte Freude ist –, in vollkommenem Gleichklang mit Mami und Papi zu sein.
    Dass Menschen lachen, hat einen Grund. Lachen ist vermutlich älter als die menschliche Sprache. Robert Provine von der University of Maryland zufolge lachen Menschen in Gesellschaft anderer 30 Mal häufiger, als wenn sie allein sind. 32 Wenn sich Menschen in Bindungssituationen befinden, lachen sie viel und oft. Erstaunlicherweise lachen Menschen, die sich aktiv an Gesprächen beteiligen, 46 Prozent mehr als Menschen, die zuhören. Und sie lachen eigentlich nicht über lustige Pointen. Nur 15 Prozent der Sätze, die Gelächter auslösen, sind erkennbar witzig. 33 Es scheint, als würde in Gesprächen vor allem dann spontan gelacht, wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie in ähnlicher Weise auf positive emotionale Umstände reagieren.
    Manche Witze wie etwa Wortspiele haben keine soziale Funktion. Sie werden oft von Menschen geschätzt, die an Autismus leiden. Die meisten Witze aber sind für den zwischenmenschlichen Umgang von Bedeutung, sie werden dann gemacht, wenn Menschen eine Lösung für eine soziale Unstimmigkeit suchen. Lachen ist eine Sprache, die Menschen dazu benutzen, neue Bindungen zu knüpfen, eine peinliche Situation zu entschärfen oder bereits vorhandene Bindungen zu stärken. Das kann positiv sein, wenn zum Beispiel eine Gruppe von Menschen zusammen lacht, oder negativ, etwa wenn eine Menschenmenge ein Opfer verspottet. Aber Lachen und Solidarität sind eng miteinander verbunden. So schreibt Steven Johnson: »Lachen ist keine instinktive physische Reaktion auf Komik, so wie man bei Schmerz zusammenzuckt oder bei Kälte zittert. Es ist eine instinktive Form der sozialen Bindung, die sich der Komik bedient.«

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