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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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intuitiv, wer der Anführer jeder Gruppe war, wer der Spaßvogel und wer die Rolle des Friedensstifters, des Draufgängers, des Organisators und des zurückhaltenden Zuschauers spielte.
    Er besaß die Fähigkeit, herauszufinden, wer in einem weiblichen Dreiergespann welche Rolle ausfüllte. Wie der Musiker Frank Portman einmal bemerkte, ist die Troika die natürliche Einheit weiblicher Freundschaft auf der Highschool. 5 Mädchen 1 ist die Scharfe; Mädchen 2 ist deren engste Vertraute, und Mädchen 3 ist die Weniger Attraktive, der die anderen beiden mit liebenswürdiger Herablassung begegnen. Eine Zeitlang werden die Mädchen 1 und 2 Mädchen 3 bei der Auswahl des richtigen Make-ups und der passenden Klamotten helfen und versuchen, es mit einem der weniger attraktiven Freunde ihrer Lover zu verkuppeln. Aber irgendwann werden Mädchen 1 und 2 unmissverständlich klarmachen, dass sie viel schärfer sind als Mädchen 3, und die damit einhergehende Ablehnung von Mädchen 3 wird immer deutlicher hervortreten, bis sie es endlich ausschließen und durch ein neues Mädchen 3 ersetzen. Die Mädchen mit der Nummer 3 haben niemals auch nur annähernd genug Klassenbewusstsein, um sich zusammenzutun und ihre vereinte Macht dazu zu nutzen, das Joch ihrer Unterdrückung abzuwerfen.
    Harold verfügte über eine eindrucksvolle soziale Intuition. Doch wenn er durch den Flur schlenderte und ein Klassenzimmer betrat, änderte sich etwas in ihm. Während er auf dem Korridor das Gefühl hatte, alles vollkommen unter Kontrolle zu haben, geriet er im Unterricht schnell an seine Grenzen, insbesondere was seine Aufnahmefähigkeit anbelangte. Seine hohe soziale Intelligenz schlug sich nicht in hervorragenden schulischen Leistungen nieder. Und tatsächlich benutzen wir bei der sogenannten sozialen Kognition andere Hirnareale, als wenn sich unser Denken auf Gegenstände und konkrete oder abstrakte Sachverhalte bezieht. 6 Menschen mit Williams-Beuren-Syndrom sind ungewöhnlich kontaktfreudig, während andere Fähigkeiten erheblich beeinträchtigt sind. Studien von David Van Rooy deuten darauf hin, dass nicht mehr als fünf Prozent des emotionalen Einfühlungsvermögens einer Person sich mit jener allgemeinen kognitiven Intelligenz, die wir mit dem IQ erfassen, erklären lassen. 7
    Wenn Harold im Klassenzimmer saß und auf den Beginn des Unterrichts wartete, verlor er jenes Gefühl der Kontrolle, das er auf dem Flur hatte. Er blickte hinüber zu den hellen Köpfen, die in den vorderen Bänken saßen, und kam zu dem Schluss, dass er keiner von ihnen war. Er bekam schon mal eine Zwei plus und brachte sich in produktiver Weise in Diskussionen im Unterricht ein, aber er gab nur selten Antworten, die die Lehrer begeisterten. Irgendwann war Harold davon überzeugt, dass er in der Schule zwar leidlich gute Leistungen bringen konnte, aber nicht intelligent war – auch wenn er die Frage, was Intelligentsein eigentlich bedeutete, nicht richtig hätte beantworten können.
    Scharf auf die Lehrerin
    Harold ließ sich in der Englischstunde auf seinem Platz nieder. Um die Wahrheit zu sagen, war Harold ein bisschen in seine Englischlehrerin verknallt. Das war ihm peinlich, denn sie war eigentlich nicht sein Typ.
    Während ihrer eigenen Zeit auf der Highschool hatte Ms. Taylor sich über die Sportskanonen geärgert. Im Teenageralter war sie eher der sensible Künstlertyp gewesen. Sie hatte ihre Identität als Erwachsene im Einklang mit Tom Wolfes Regel vom Highschool-Gegensatz gebildet. Diese Regel besagt, dass wir auf der Highschool alle in Kontakt mit bestimmten sozialen Gruppen kommen und dass wir uns ganz genau bewusst werden, welche Persönlichkeitstypen auf zwischenmenschlicher Ebene unsere Verbündeten sind und welche unsere Gegner. Die Persönlichkeit des Erwachsenen – einschließlich seiner politischen Ansichten – definiert sich dauerhaft in Abgrenzung zu unseren natürlichen Feinden auf der Highschool.
    Daher war es Ms. Taylor beschieden, für immer dem Lager des künstlerischen Feingefühls anzugehören, das im Gegensatz stand zum Lager des sportlichen Durchsetzungswillens. Sie gehörte zu den distanzierten Beobachtern, die den unbekümmert Tatendurstigen gegenüberstanden. Damit fiel sie auch eher in die Kategorie der Emotionalen als der Beliebten. Das bedeutete, dass sie einen sehr gefühlsbetonten Zugang zu den Dingen hatte, aber es bedeutete leider auch, dass sie, wenn sich ihr nicht von sich aus jeden Tag ein aufwühlendes emotionales Drama

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