Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
den Kopf. Wenn ich schon eine Woche im Bett liege, warum fühle ich mich dann immer noch so müde?
»Ich denke, Sie werden das Schlimmste überstanden haben. Erst haben wir gedacht, wir würden Sie verlieren. Aber Sie sind ein Kämpfer, habe ich recht?«
»Eigentlich war ich das nie«, sage ich. »Was habe ich verpasst?«
»Nichts«, antwortet der Arzt mit einem kleinen Lachen. »Der Krieg geht weiter, wenn Sie sich deswegen sorgen. Warum? Was, denken Sie, könnten Sie verpasst haben?«
»Ist jemand getötet worden?«, frage ich. »Jemand aus meinem Regiment, meine ich?«
Er nimmt das Thermometer aus meinem Mund, betrachtet es und sieht mich mit einem merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht an. »Jemand aus Ihrem Regiment?«, fragt er. »Nein. Nicht, seit Sie hier sind. Zumindest nicht dass ich wüsste. Es war einigermaßen ruhig. Warum fragen Sie?«
Ich schüttele den Kopf und starre das Zeltdach an. Ich habe den Großteil der letzten beiden Tage verschlafen und will, das es so weitergeht. Ich habe das Gefühl, noch einen ganzen Monat schlafen zu können, wenn mir die Möglichkeit dazu geboten wird.
»Es geht Ihnen viel besser«, sagt der Arzt gut aufgelegt. »Ihre Temperatur ist wieder normal. So normal, wie sie hier sein kann.«
»Hatte ich Besuch?«
»Warum, wen haben Sie denn erwartet? Den Erzbischof von Canterbury?«
Ich überhöre seinen Sarkasmus und drehe mich zur Seite. Es ist möglich, dass Will von Zeit zu Zeit hereingesehen hat. Schließlich wird dieser Arzt mein Bett nicht rund um die Uhr beobachtet haben.
»Was passiert also als Nächstes mit mir?«, frage ich.
»Ich denke, Sie nehmen Ihren Dienst wieder auf. Wir geben Ihnen noch einen Tag oder so. Hören Sie, warum stehen Sie nicht einfach mal auf? Gehen Sie in die Messe und essen Sie etwas. Und trinken Sie viel heißen, süßen Tee, wenn es welchen gibt. Dann kommen Sie wieder her, und wir sehen, wie Sie sich machen.«
Ich seufze und kämpfe mich von meinem Lager hoch. Die Blase drückt mir in den Leib, ich beeile mich mit dem Anziehen und will als Erstes zur Latrine. Als ich die Eingangsplane des Sanitätszelts zur Seite schiebe und hinaus in das trübe Zwielicht trete, schwappt eine große Pfütze Wasser vom Zeltdach auf mich herab. Triefend und nur halb bei Verstand, wünsche ich mir, dass mich die Elemente erneut aufs Lager werfen, damit ich in die Wärme und Behaglichkeit des Sanitätszelts zurückkann.
Zu meiner Enttäuschung geht es jedoch weiter bergauf mit mir, und ich trete bald schon wieder meinen Dienst an.
Später am Tag bekomme ich einen Ausschlag auf dem Arm, der wie Feuer brennt, und so verbringe ich einen weiteren Nachmittag im Sanitätszelt und warte darauf, dass mich jemand untersucht. Als das schließlich auf sehr oberflächliche Weise passiert, heißt es, es sei alles in Ordnung mit mir. Das Ganze sei eine reine Kopfsache, und ich kann zurück in den Graben.
Abends stehe ich allein an meinem Periskop, das Gewehr über der Schulter, und starre ins Niemandsland hinaus. Aus irgendeinem Grund wächst die Überzeugung in mir, dass drüben auf der anderen Seite jemand genau in meinem Alter steht und mich beobachtet. Er ist müde und verängstigt und betet jeden Abend, dass er uns nicht über die Sandsäcke klettern sieht, denn sobald wir aus unseren Erdgräbern auftauchen, muss er seinen Kameraden das Zeichen geben, und ein neues, grauenvolles Gefecht bricht los.
Niemand erwähnt Will, und ich scheue davor zurück, nach ihm zu fragen. Der Großteil unseres ursprünglichen Regiments ist tot oder, wie in Hobbs’ Fall, im Feldlazarett, es gibt also keinen Grund, warum einer an Will denken sollte. Ich leide unter meiner Einsamkeit. Ich habe Will zuletzt vor meiner Krankheit gesehen. Nach meiner Weigerung, Sergeant Clayton über Milton Bericht zu erstatten, ist er mir sorgsam aus dem Weg gegangen. Und dann bin ich ins Sanitätszelt gebracht worden.
Als Sergeant Clayton ein nächtliches Aufklärungskommando über die Sandsäcke in Richtung der deutschen Verteidigungsanlagen schickt, kommen von den sechzig Leuten nur achtzehn zurück, was eine Katastrophe ist. Unter den Toten ist auch Corporal Moody, der eine Kugel ins Auge bekommen hat.
Abends sehe ich Corporal Wells mit gesenktem Kopf an einem Tisch sitzen, einen Becher Tee vor sich, und verspüre unerwartetes Mitgefühl für ihn. Ich bin nicht sicher, ob es angebracht ist, mich zu ihm zu setzen – wir haben nie ein besonders herzliches Verhältnis gehabt –, aber ich
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