Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
heißt, dass ich der Eindringling bin. Wenn ich heute aufwache und feststelle, dass ein Parasit an mir schnuppert, Nase und Schnurrhaare zucken, weil er überlegt, ob er angreifen will, springe ich nicht mehr auf und schreie, sondern wische ihn mit der Hand weg, so wie ich eine Fliege vertreibe, die mir in St James’s Park um den Kopf schwirrt. Das ist jetzt die Normalität, und ich denke wenig darüber nach, sondern erledige meine Aufgaben, stehe Wache, verteidige unsere Linien, klettere aus dem Graben, wenn ich an der Reihe bin, mein Leben zu riskieren, esse, wenn ich kann, schließe die Augen, lasse den Tag verstreichen und glaube, dass es mit all dem oder mir irgendwann vorbei sein wird.
Es ist Wochen her, seit mir Potters Gehirn auf die Uniform gespritzt ist, und die ist natürlich gewaschen worden, aber um die Rockaufschläge sind noch etliche dunkelrote und graue Flecken zu sehen, die mich quälen. Ich habe andere danach gefragt, doch die schütteln den Kopf und sagen, dass sie da nichts sehen. Was natürlich nicht stimmt. Die Flecken sind eindeutig da, und ich kann sie riechen.
Ich beende einen Dienst von mehr als zehn Stunden und bin ein wandelnder Toter, als ich Richtung Reservegraben gehe. Es ist spät, und wir rechnen noch mit Granatfeuer, weshalb so gut wie keine Kerzen brennen. Aber dann sehe ich jemanden in der Ecke der Messe sitzen und gehe auf ihn zu, weil ich vor dem Schlafengehen gerne noch etwas reden würde. Als ich näher komme, erkenne ich jedoch, dass es Will ist, und zögere. Er hockt über ein paar Blatt Papier gebeugt da und hält seinen Stift merkwürdig in der Hand. Erst jetzt, nach all der Zeit, fällt mir auf, dass er Linkshänder ist. Ich starre ihn an und sehne mich nach ein paar Worten, drehe mich dann aber weg. Meine Stiefel knirschen im Dreck, und er sagt leise meinen Namen.
»Tristan.«
»Entschuldige«, sage ich, wende mich ihm wieder zu, trete aber nicht näher. »Ich wollte dich nicht stören.«
»Das tust du nicht«, sagt er mit einem Lächeln. »Hast du dienstfrei?«
»Seit einer Minute. Ich lege mich wohl besser etwas hin.«
»Geschlafen wird in der Richtung«, sagt er und deutet hinter mich. »Was machst du hier?«
Ich öffne den Mund, um zu antworten, aber mir fällt nichts Rechtes ein. Ich will ihm nicht sagen, dass ich Gesellschaft suche. Er lächelt wieder und nickt auf den Platz neben sich. »Warum setzt du dich nicht ein paar Minuten?«, sagt er. »Wir haben ewig nicht geredet.«
Ich gehe zu ihm und versuche, mich nicht darüber zu ärgern, dass er so tut, als wäre das eine gemeinsame Entscheidung gewesen. Aber es hat keinen Sinn, ihm böse zu sein. Er bietet mir seine Gesellschaft an, und es gibt nicht viel mehr, was ich mir vom Leben wünsche. Vielleicht läutet er damit endlich das Ende der Feindseligkeiten zwischen uns ein.
»Schreibst du nach Hause?«, frage ich und nicke zu den Blättern vor ihm hin.
»Ich versuche es«, sagt er, sammelt sie ein und steckt sie in die Tasche. »An meine Schwester, Marian. Aber ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Wenn ich die Wahrheit sage, wie es hier zugeht, macht sie sich nur unnötig Sorgen. Und wenn ich lüge, kommt es mir unsinnig vor, überhaupt zu schreiben. Es ist vertrackt.«
»Was tust du also?«
»Ich erzähle dies und das. Frage, wie es zu Hause geht. Es sind Nichtigkeiten, aber sie füllen die Seiten, und sie antwortet mir immer. Ich würde durchdrehen, wenn ich mich nicht auf ihre Briefe freuen könnte.«
Ich nicke und wende den Blick ab. Das Messezelt ist völlig leer, was mich überrascht. Es sind eigentlich immer Leute hier, die essen, Tee trinken und sich über ihren Platz beugen.
»Du schreibst nicht nach Hause?«, fragt er mich.
»Woher willst du das wissen?«
»Nein, ich meine nur, dass ich dich noch nie habe schreiben sehen. Deine Eltern würden doch sicher gerne von dir hören?«
Ich schüttele den Kopf. »Das glaube ich nicht«, erkläre ich ihm. »Schließlich haben sie mich rausgeworfen.«
»Ich weiß. Aber du hast mir nie gesagt, warum.«
»Habe ich das nicht?«, frage ich und belasse es dabei.
Er sagt ein paar Minuten nichts, nippt an seinem Tee und hebt den Blick, als erinnerte er sich mit einem Mal an etwas. »Was ist mit deiner Schwester? Laura, so hieß sie doch?«
Ich schüttele wieder den Kopf. Einen Augenblick lang schließe ich die Augen. Ich würde ihm gerne von Laura erzählen, kann es aber nicht. Es würde wahrscheinlich länger dauern, als wir Zeit haben.
»Von
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