Das Spektrum der Toten
fuhr die Straßenbahn wieder an. Zu spät! Er würde zu spät kommen!
Baumgärtner hatte es geahnt: Als er endlich die Friedhofskapelle erreichte, begaben sich die Trauergäste von der Leichenhalle mit dem Sarg bereits zur Grabstätte.
Baumgärtner blieb stehen, er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Dem Zug folgen? Am liebsten hätte er hier gewartet, bis alles vorbei war.
Er entschloss sich, dem Trauerzug nachzueilen.
Nach einigen Schritten sank er tot zu Boden.
Der Rechtsmediziner W. Boltz obduzierte den Toten.
Dabei stellte er eine mäßiggradige Sklerose der peripheren Schlagadern und eine ausgedehnte, erhebliche Verkalkung und Verengung der Herzkranzgefäße, außerdem weitere Schäden am Herzen sowie Leberstauung und Nierenschrumpfung fest.
W. Boltz schrieb in seinem Bericht: »Die Funktionsschwäche des Herzens lag bei diesem Fall vorwiegend in der muskulären Minderleistung und der chronischen Durchblutungsstörung.« Erhebliche emotionelle Momente hätten augenscheinlich den Tod eingeleitet, da das vegetative Nervensystem den Kreislauf stark beeinflusst.
Also nicht nur psychische Belastungen wie Schreck oder Schock können töten, sondern auch andere psychische Belastungen im Leben - Streß, Angst, Sorge, Kummer, lang anhaltende oder wiederholte Aufregungen lassen Herzen mit geringer Reservekraft versagen und den Kreislauf zusammenbrechen.
Das war im Fall des Felix Baumgärtner deutlich erkennbar.
Bekannt ist auch der psychogene Tod beim Sterben eines geliebten Menschen, gerade bei kreislaufgeschädigten alten Menschen. So kommt es vor, dass der eine den Tod des anderen Ehepartners nicht überlebt.
Dann, so der Rechtsmediziner K.-D. Stumpfe, »stirbt der Mensch still und gelassen ohne Gegenwehr in ein bis zwei Tagen«. Diesem Tod gehen »Resignation mit Aufgabe der Hoffnung« und »eine Apathie mit Verlust jeglicher Gefühlsäußerung« voraus sowie »völlige Passivität und jeglicher Wille zum Leben«.
Oft sagt man dann: »Er/sie starb an gebrochenem Herzen.«
Aber nicht nur Schreck, Schock, Trauer und Verzweiflung
können töten, das vermag auch Freude.
Ende April 1998, wie »Bild am Sonntag« berichtete, starb ein 34jähriger Zuschauer am Ende eines Fußballspiels.
Der junge Mann war ein begeisterter Anhänger des 1. FC Kaiserslautern. Seit Jahren, so heißt es in dem Bericht, ließ der »Dauerkartenbesitzer«, der als Büroangestellter arbeitete, kein Heimspiel der »Roten Teufel« aus. Er weinte beim Abstieg aus der 1. Liga, feierte den Wiederaufstieg und begleitete seine Mannschaft auf dem Weg zum Tabellenführer.
Als das entscheidende Tor geschossen wurde und das Jubelgeschrei der Fans das Stadion erfüllte, sank der Mann tot nieder. Er war herzkrank, hatte bereits drei Bypässe und trotz der Warnung seiner Ärzte, sich vor Aufregung zu hüten, das Spiel besucht.
Ein klassischer Fall eines psychogenen Todes durch Freude.
Ohne noch einmal näher auf die komplizierte Wechselwirkung zwischen auslösendem Ereignis, einer physischen Erkrankung und der körperlichen Reaktion einzugehen, bleibt die Tatsache, dass der psychogene Tod unbestritten ist, gleich ob er, wie die meisten Forscher überzeugt sind, nur bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen auftritt oder - wie im Fall der Agnes Neumeister - auch bei solchen Personen, bei denen eine krankhafte Veränderung nicht nachweisbar ist.
So stellt sich der psychogene Tod als eine komplexe Verflechtung, »als Extrembeispiel eines psychosomatischen Geschehens, welches zum Tode führt« (K.-D. Stumpfe), als »emotional ausgelöste tödliche Kreislaufschwäche« dar.
Regie eines Mordes
Manchmal war es Jürgen Hauer selbst unbegreiflich, warum er Annette Weißgerber zu seiner Geliebten gemacht hatte. Sie hatte seiner Frau weder Schönheit noch Charme voraus. Auch ihre sexuelle Leidenschaft hielt sich in Grenzen. Reichtümer besaß sie ebensowenig wie einen einträglichen Beruf. Kein Mann blickte ihr nach, wenn sie über die Straße ging. Man sah das Allerweltsgesicht der 28jährigen und vergaß es wieder. Warum also war Jürgen Hauer diesem unscheinbaren Mädchen verfallen?
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