Das Spiel
auch? Ich wette, er wird das Gesicht abwenden, wenn er die Ersatzdecke aus dem Schrank über dich wirft, Jessie. Er wird deine Finger nicht sehen wollen, die steif wie Bleistifte und weiß wie Kerzen aus den Handschellen ragen. Er wird deinen starren Mund nicht ansehen wollen, oder den Schaum, der längst auf den Lippen zu Flocken getrocknet sein wird. Aber am allerwenigsten wird er den Ausdruck des Grauens in dem sehen wollen, was die Maden von deinen Augen übrig gelassen haben, daher wird er selbst zur Seite sehen, wenn er dich zudeckt.
Jessie bewegte den Kopf in einer langsamen, hoffnungslosen Geste der Verzweiflung von einer Seite auf die andere.
Bill wird die Polizei rufen, und die werden mit der Spurensicherung und dem örtlichen Gerichtsmediziner hier aufkreuzen. Sie werden alle um das Bett herumstehen und Zigarren rauchen (Doug Rowe, der zweifellos seinen abscheulichen weißen Trenchcoat trägt, wird selbstverständlich mit seinem Filmteam draußen warten), und wenn der Gerichtsmediziner die Decke wegzieht, werden sie alle zusammenzucken, ja – ich glaube, sogar der abgebrühteste von ihnen wird ein bisschen zusammenzucken, und einige werden vielleicht sogar das Zimmer verlassen. Später werden sich ihre Kumpels deswegen über sie lustig machen. Und diejenigen, die bleiben, werden nicken und sagen, dass die Person auf dem Bett einen schweren Todeskampf gehabt haben muss. »Man muss sie nur ansehen, um das festzustellen«, werden sie sagen. Aber sie werden nicht einmal die halbe Wahrheit ahnen. Sie werden den wahren Grund nicht kennen, weshalb deine Augen aufgerissen sind und der Mund sperrangelweit zu einem lautlosen Schrei erstarrt ist – wegen dessen nämlich, was du am Ende gesehen hast. Was du aus dem Dunkeln kommen gesehen hast. Dein Vater mag dein erster Liebhaber gewesen sein, Jessie, aber dein letzter wird der Fremde mit dem langen weißen Gesicht und dem Musterkoffer aus Menschenhaut sein.
»O bitte, kannst du nicht aufhören?«, stöhnte Jessie. »Keine Stimmen mehr, bitte, keine Stimmen mehr.«
Aber diese Stimme schwieg nicht; sie nahm Jessie nicht einmal zur Kenntnis. Sie fuhr einfach fort und flüsterte von irgendwo am Hirnstamm direkt in ihren Verstand. Ihr zuzuhören war, als würde ihr jemand mit einem schlammigen Stück Seide über das Gesicht streichen.
Sie werden dich nach Augusta bringen, und dort wird dich der Gerichtsmediziner aufschneiden, damit er eine Inventur deiner Eingeweide machen kann. Das ist Vorschrift bei Fällen von Tod unter fragwürdigen Umständen und ohne Zeugen, und bei dir wird beides zutreffen. Er wird sich deine letzte Mahlzeit ansehen – Sandwich mit Salami und Käse von Amato’s in Gorham – und eine kleine Gewebeprobe aus dem Gehirn nehmen, die er unter dem Mikroskop betrachten wird, und zuletzt wird er Tod durch Unfall eintragen. »Die Dame und der Herr haben ein harmloses Spiel gespielt«, wird er sagen, »aber der Herr besaß die Geschmacklosigkeit, im entscheidenden Augenblick einen Herzanfall zu bekommen, und daher musste die Dame … aber es ist besser, nicht so sehr ins Detail zu gehen. Man sollte sich damit begnügen, dass die Dame einen schweren Tod gehabt hat – man muss sie sich nur ansehen, um das festzustellen.« So wird es laufen, Jess. Vielleicht wird jemandem auffallen, dass dein Ehering fort ist, aber sie werden nicht lange danach suchen, wenn überhaupt. Und der Gerichtsmediziner wird auch nicht merken, dass einer deiner Knochen – ein unwichtiger, der dritte Ristknochen des rechten Fußes, zum Beispiel – nicht mehr da ist. Aber wir werden es wissen, oder nicht, Jessie? Wir wissen es sogar jetzt schon. Wir wissen, dass er sie mitgenommen hat. Der kosmische Fremde, der Space Cowboy. Wir wissen …
Jessie schlug den Kopf so fest gegen das Kopfteil, dass sie einen Schwarm großer weißer Sterne vor ihren Augen explodieren sah. Es tat weh – sogar ziemlich weh -, aber die geistige Stimme verstummte wie ein Radio bei Stromausfall, und damit hatte es sich gelohnt.
»Na also«, sagte sie. »Und wenn du wieder anfängst, mache ich es wieder. Ohne Scheiß. Ich habe es satt, dir zuzuhören …«
Jetzt sprach ihre eigene Stimme unbewusst laut in dem leeren Zimmer, und auch sie brach ab wie ein Radio bei Stromausfall. Als die Sterne vor ihren Augen verblassten, sah sie das Licht der Morgensonne auf etwas funkeln, das etwa vierzig Zentimeter von Geralds ausgestreckter Hand entfernt lag. Es war ein kleiner weißer Gegenstand, durch dessen
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