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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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abgesehen, dass sie mein ohnehin schon starkes Unbehagen noch mehr vertieft. Also lassen wir das ganze Thema einfach fallen, okay? Vergessen wir Dark Score Lake.
    »Was meinst du, Ruth?«, fragte sie mit leiser Stimme, und ihr Blick wanderte zu dem Batikschmetterling auf der anderen Seite des Zimmers. Einen Moment lang sah sie ein ganz anderes Bild – ein kleines Mädchen, die süße kleine Punkin, die den süßlichen Duft von Aftershave roch und durch ein rußgeschwärztes Glas zum Himmel sah -, doch dann verschwand es gnädigerweise wieder.
    Sie betrachtete den Schmetterling noch eine Zeit lang, weil sie sichergehen wollte, dass die alten Erinnerungen fort blieben, dann sah sie wieder zu Geralds Glas Wasser. Unglaublicherweise trieben immer noch ein paar Eissplitter an der Oberfläche, obwohl sich die Nachmittagshitze im Zimmer staute und es noch eine ganze Weile so bleiben würde.
    Jessie ließ den Blick über das Glas schweifen und genoss die kalten Kondenstropfen darauf. Sie konnte den Untersetzer nicht sehen, auf dem das Glas stand – der Winkel war ein klein wenig zu steil -, aber sie musste ihn auch nicht sehen, um sich den sich ausbreitenden dunklen Feuchtigkeitsring vorzustellen, der sich bildete, während die kühlen Kondenstropfen am Glas hinunterliefen und eine Pfütze erzeugten.
    Jessie streckte die Zunge heraus und leckte sich über die Oberlippe, ohne diese nennenswert zu befeuchten.
    Ich will etwas trinken!, schrie die ängstliche, fordernde Stimme eines Kindes – einer süßen kleinen Punkin. Ich will es, und ich will es jetzt … GLEICH!
    Aber sie kam nicht an das Glas heran. Ein eindeutiger Fall von so nah und doch so fern.
    Ruth: Gib nicht so einfach auf – wenn du den gottverdammten Hund mit dem Aschenbecher getroffen hast, Süße, kannst du vielleicht auch das Glas holen. Vielleicht klappt’s.
    Jessie hob wieder die rechte Hand, strengte sich an, so weit es ihre schmerzende Schulter zuließ, war aber immer noch mindestens sieben Zentimeter entfernt. Sie schluckte und verzog das Gesicht, weil sich ihr Hals zusammenzog und wie Sandpapier anfühlte.
    »Siehst du?«, sagte sie. »Bist du jetzt zufrieden?«
    Ruth antwortete nicht, aber Goody. Sie meldete sich leise, fast unterwürfig in Jessies Kopf zu Wort. Sie hat gesagt holen, nicht greifen. Das … das ist vielleicht nicht dasselbe. Goody lachte auf eine verlegene Wer-bin-ich-dass-ich-mich-einmische-Weise, und Jessie konnte sich wieder einen Augenblick lang wundern, wie seltsam es war, einen Teil von sich selbst so lachen zu hören, als wäre er wahrhaftig ein völlig separates Wesen. Wenn ich noch ein paar Stimmen mehr hätte, dachte Jessie, könnten wir da drinnen ein verdammtes Bridge-Turnier veranstalten.
    Sie betrachtete das Glas noch einen Augenblick, dann ließ sie sich auf das Kissen zurückfallen, damit sie die Unterseite des Regals studieren konnte. Sie sah, dass es nicht an der Wand befestigt war; es lag auf vier Stahlhaken, die wie umgekehrte große L aussahen. Und das Regal war auch nicht mit denen verbunden – da war sie sich ganz sicher. Sie erinnerte sich, einmal hatte sich Gerald beim Telefonieren geistesabwesend auf das Regal stützen wollen. Dabei war das eine Ende hochgeklappt und hatte wie eine Schaukel geschwebt, und wenn Gerald die Hand nicht auf der Stelle weggezogen hätte, hätte er das Regal wie bei einem Flohhüpfspiel gekippt.
    Der Gedanke an das Telefon lenkte sie einen Augenblick ab, aber wirklich nur einen Augenblick. Es stand auf einem niederen Tischchen vor dem Ostfenster, dem mit dem malerischen Ausblick auf Einfahrt und Mercedes, und es hätte sich genauso gut auf einem anderen Planeten befinden können, so viel nutzte es ihr in der momentanen Situation. Sie richtete den Blick wieder auf die Unterseite des Regals, wobei sie zuerst das Brett selbst studierte und dann wieder die L-förmigen Haken.
    Als sich Gerald auf sein Ende gelehnt hatte, war ihr Ende in die Höhe gegangen. Wenn sie genügend Druck auf ihr Ende ausüben konnte, so dass seines kippte, würde das Glas Wasser …
    »Es könnte herüberrutschen«, sagte sie mit heiserer, nachdenklicher Stimme. »Es könnte zu meinem Ende herüberrutschen.« Selbstverständlich konnte es ebenso gut fröhlich an ihr vorbeirutschen und auf dem Boden zerschellen, oder es konnte da oben gegen ein unsichtbares Hindernis stoßen, bevor es überhaupt bis zu ihr kam, aber der Versuch lohnte sich jedenfalls, oder nicht?
    Klar, ich schätze schon, dachte sie. Ich

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